Abgabenerhebung nach Lust und Laune?

In seinem jüngsten Urteil zu den Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen schafft das Schweizerische Bundesgericht definitive Unklarheit in der bereits heute reichlich verworrenen Situation.

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)

In seinem jüngsten Urteil zu den Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen schafft das Schweizerische Bundesgericht definitive Unklarheit in der bereits heute reichlich verworrenen Situation. Die Lausanner Richter definieren die Empfangsgebühren plötzlich als „hoheitlich erhobene Abgabe“, welche nicht für irgendeine „vom Bund erbrachte Leistung“ zu zahlen sei. Damit bereitet das Bundesgericht mitten im Abstimmungskampf den Weg für die Einführung einer Mediensteuer. Die fehlende Verfassungsgrundlage für ein solches Abgabenverständnis, der Schutz des Privateigentums der Abgabepflichtigen oder die fragwürdige Praxis der Exekutivbehörden bleiben unerwähnt. Der vorliegende Gerichtsentscheid stellt bislang zentrale verfassungsrechtliche Grundsätze in Frage, dokumentiert aber auch in aller Deutlichkeit den dringenden Handlungsbedarf im Bereich der Medienpolitik.
 
Mitten im Abstimmungskampf zum umstrittenen neuen Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) teilt Bundesbern mit, dass aufgrund eines Bundesgerichtsurteils die Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen gesenkt würden. Bei genauerer Betrachtung erweist sich das fragliche Urteil aus Lausanne aber als Danaergeschenk. Die Gebühren werden mitnichten gesenkt – sie bleiben unverändert hoch. Einzig der nach gerichtlicher Auffassung bislang zu Unrecht erhobene Mehrwertsteuerzuschlag im Umfang von 11.30 Franken darf künftig den Gebührenzahlern nicht mehr verrechnet werden. Diese Anordnung wiederum fusst auf der fragwürdigen Einordnung der Empfangsgebühren als „Abgabe sui generis“ – einer Kategorie von Zwangsabgaben, welche das schweizerische Rechtssystem gar nicht vorsieht.
 
Durcheinander in der steuerrechtlichen Ordnung
Das Bundesgerichtsurteil vom 13. April 2015 (2C_882/2014) wirft vielerlei Fragen auf. Im Zentrum steht – wenngleich das höchste Gericht ausgerechnet diese Frage geflissentlich ausblendet – der Schutz des Privateigentums und damit die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen die öffentliche Hand Zwangsabgaben erheben darf. Gemäss herrschender Lehre teilen sich die öffentlichen Abgaben auf in Kausalabgaben sowie Steuern. Unter Kausalabgaben versteht man Geldzahlungen, welche für bestimmte staatliche Leistungen oder besondere Vorteile zu entrichten sind. Derweil sind Steuern voraussetzungslos geschuldet (bzw. bei Vorliegen bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen) und werden nicht als Entgelt für eine spezifische staatliche Leistung erhoben.

Der Begriff Steuern wiederum wird nach herrschender Lehre weit verstanden. Wenn gemischte Abgaben einen fiskalischen Anteil aufweisen und nicht reinen Entgeltscharakter haben, sind sie der Kategorie Steuern zuzuordnen, für welche – und dies ist entscheidend – eine ausdrückliche Kompetenz in der Bundesverfassung vorhanden sein muss. Dies wiederum hat zwei Gründe: Einerseits liegt die Steuerkompetenz in der Schweiz bei den Kantonen. Will der Bund die Erhebung einer Steuer an sich nehmen, sind hierfür Zustimmung von Volk und Ständen zwingende Voraussetzung. Auf der anderen Seite dient die verfassungsrechtliche Festschreibung eines Höchststeuersatzes dem Schutz des Privateigentums: Der Staat darf dem Bürger nicht mehr wegnehmen, als demokratisch beschlossen worden ist.
 
Fragwürdige Erfindung neuer Abgaben
Die Tendenz, dass der Bund neue Abgaben einführt, welche seiner Auffassung nach weder Steuern noch Kausalabgaben sind, beobachten wir seit einigen Jahren. Diese Abgaben eigener Art („sui generis“) sind der schweizerischen Rechtsordnung fremd: Sollten die bisherigen Abgabekategorien der Kausalabgaben und Steuern um eine neue Kategorie erweitert werden, wäre dies zweifellos vom Verfassungs- und Gesetzgeber zu entscheiden – und nicht seitens der Exekutive oder der Judikative. Die unschöne Entwicklung ist relativ einfach und politisch zu erklären: Ähnlich wie auf kommunaler Ebene in den vergangenen Jahren die Gebühren und Abgaben – für deren Einführung oft keine demokratische Abstimmung notwendig ist – stärker zugenommen haben als die Steuern, führt der Bund oft Abgaben sui generis ein, um fehlende verfassungsmässige Kompetenzen auszublenden.

Zu dieser Kategorie neu erfundener Abgaben gehören etwa die Abgabe für Deponie-Inhaber und Exporteure von Abfällen gemäss Art. 32e USG, der Netzzuschlag gemäss Art. 15b EnG oder die Grundversorgungsabgabe nach Art. 38 FMG (vgl. hierzu auch Peter Karlen, Zum Erfinden neuer öffentlicher Abgaben, in ZBl 115/2014, S. 1 ff.). Dass der Bund in all diesen Fällen die Prüfung einer verfassungsrechtlichen Kompetenz als nicht nötig erachtete, ist stossend und zeigt, dass die Behörden die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Einführung neuer Zwangsabgaben nicht genügend ernst nehmen und die demokratischen Mitwirkungsrechte von Volk und Ständen oft wissentlich missachten bzw. zu umgehen versuchen.
 
Von der Gebühr zur Steuer
Zunächst wurden die Radio- und Fernsehempfangsgebühren als Regalgebühr qualifiziert: Das Post- und Telegrafenwesen war lange Zeit Bundessache. Mit dem neuen Radio- und Fernsehgesetz war der Empfang von Radio- und Fernsehprogrammen nicht mehr der Konzessionspflicht unterstellt. Die Gebühren blieben aber Regalabgaben, mit welchen sich der Empfänger das Recht erwarb, einen Radio- oder Fernsehapparat zu betreiben und entsprechende Programme zu empfangen.

Während die Eigentumsfreiheit im neuen steuerrechtlichen Entscheid des Bundesgerichts nicht von kardinaler Bedeutung zu sein scheint, kommt anderen Grundrechten offenbar mehr Bedeutung zu. So zieht das Bundesgericht vor allem die Informationsfreiheit bei, welche das Recht zum Empfang von Radio- und Fernsehsendungen umfasse. Darum sei es „ausgeschlossen, die Empfangsgebühr als Entgelt für die Einräumung des Rechts auf Empfang zu betrachten“, da dieses Empfangsrecht dem Bürger kraft Verfassung sowieso zustehe und nicht mehr separat gewährt werden müsse bzw. für welches daher auch kein Entgelt erhoben werden dürfe. Diese Begründung ist insofern heikel, als dass im RTVG explizit von Empfangsgebühren die Rede ist und das Bundesgericht bekanntlich keine Kompetenz hat, Gesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen.

Auch die vom Bundesgericht ins Feld geführte Qualifikation der Empfangsgebühr als „Abgabe sui generis“ und der Vergleich mit einer Kurtaxe überzeugen nicht. Eine Kurtaxe wird für die Finanzierung von Aufgaben für den Tourismus erhoben; Steuerobjekt ist das Übernachten ausserhalb des Wohnsitzes. Um Widersprüche zum interkantonalen Doppelbesteuerungsverbot zu vermeiden, muss sie als Zwecksteuer ausgestaltet sein. Da im Abgaberecht dem Legalitätsprinzip besonderes Gewicht zugemessen wird, ist auch für die Erhebung einer Kurtaxe eine gesetzliche Grundlage zwingend notwendig.

Kurzum: Wäre die Radio- und Fernsehempfangsgebühr tatsächlich als Zwecksteuer zu definieren, wie es das Bundesgericht erwägt, dann wäre zwingend eine verfassungsmässige Grundlage vonnöten, denn die Besteuerungsbefugnisse des Bundes sind abschliessend in der Verfassung aufgelistet. Oder anders gesagt: Wäre die Gebühr eine Steuer, wäre nicht nur die Erhebung des Mehrwertsteuerzuschlags rechtswidrig, sondern die ganze Steuer an sich.
 
Wer erbringt marktfähige Leistungen?
Hoheitliches Handeln, so die gerichtliche Begründung, zeichne sich durch ein Subordinationsverhältnis aus sowie durch die Tatsache, dass die erbrachten Leistungen nicht marktfähig sind. Da die Bundesbehörden selber kein Fernsehen machen, könne die Erhebung der Empfangsgebühr nicht als Entgelt für eine marktfähige Leistung angeschaut werden. Insbesondere könne das Tun des Bundes nicht als „marktfähige Leistung im Sinne des Mehrwertsteuerrechts“ betrachtet werden, sondern sei als Subvention zu definieren: Der Bund überweist Geld „zur Erfüllung eines vom Gesetz als förderungswürdig betrachteten Zwecks“.

Dass jedoch weit über 90% der erhobenen Gelder direkt an die SRG fliessen, welche als faktischer Monopolist den kleinen Markt nach Belieben beeinflusst, wird geflissentlich übersehen. Dass sich die SRG gemäss Gesetz „zur Hauptsache aus Empfangsgebühren“ alimentiert (Art. 34 RTVG), welche wiederum vom Bund – bzw. einer vom Bund beauftragten Tochtergesellschaft der bundeseigenen Swisscom – eingetrieben und an die SRG überwiesen werden, zeigt, wie unglaubwürdig, wenig verständlich und intransparent die Mechanismen in der Schweizer Medienlandschaft sind. Die SRG wiederum wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass sie zwingend auf die Gebührengelder und ihre Vorrechte angewiesen sei, um im internationalen Medienmarkt bestehen zu können.

Fazit: Die Empfangsgebühren fliessen zu weit über 90% direkt an die SRG und dienen dort dafür, marktfähige Leistungen anzubieten. Der Hinweis auf die Tatsache, dass nicht die Programmveranstalter, sondern der Bund bzw. die Billag Gläubiger der Empfangsgebühr seien, wirkt aufgesetzt. Auch die Tatsache, dass die Gebühr unabhängig davon geschuldet ist, ob „Programme schweizerischer gebührenfinanzierter Veranstalter konsumiert werden“, ist wenig tröstlich.
 
Überfällige Definition des Service Public
Bereits die schrittweise Ausdehnung des Kreises der Gebührenpflichtigen dokumentierte die zunehmende Abkehr von der Idee einer Empfangsgebühr: Mittlerweile sind nicht mehr nur Empfangsgeräte, sondern auch Mobiltelefone, Computer etc. gebührenpflichtig, auf welchen zwar eine Empfangsmöglichkeit besteht, diese aber nicht im Vordergrund steht. In einem nächsten Schritt (RTVG-Abstimmung vom 14. Juni) soll nun der Übergang zu einer Mediensteuer gemacht werden, welche von sämtlichen Haushaltungen, aber auch Unternehmen und Gewerbebetrieben eingefordert würde.

Diese zunehmend fragwürdige Praxis der Behörden bei der Erhebung von Zwangsabgaben, die fehlende Verfassungsgrundlage für eine Mediensteuer und damit sowohl die immanente Unterhöhlung der kantonalen Steuerhoheit wie auch die Verletzung der Eigentumsgarantie wären der bessere Argumentationsfaden im diskutierten Gerichtsentscheid gewesen als die wacklige Anknüpfung an die Empfangsfreiheit.

Sodann wird vor diesem Hintergrund klar, wie dringend die Definition des „Service Public“ mittlerweile geworden ist: Der Grundversorgungsauftrag im Medienbereich muss rasch und klar umrissen werden, um Freiräume für private Anbieter zu schaffen und die Abgabepflichtigen vor einem weiteren Anstieg der Gebühren zu schützen. Die Wirtschaft soll wachsen, nicht der Staat. Die Einschränkung des „Service Public“-Auftrags würde nämlich ermöglichen, die Empfangsgebühren tatsächlich zu senken. Rund 200 Franken würden für die Erfüllung des zentralen Staatsauftrags genügen.
 
Die Folgen des Urteils
Dass das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) die Gebühren jetzt erst mit dem Hinweis auf das Bundesgerichtsurteil senkt, ist ein doppelter Skandal: Einerseits haben die Gebührenzahler offenbar während Jahren zu viel bezahlt. Geld, das längst in der Bundeskasse versickert ist. Von einer Rückzahlung an die Gebührenzahler ist mit keinem Wort die Rede. Diese wäre aber, wenn sich der Bund ungerechtfertigt bereichert hat, zumindest für die vergangenen zehn Jahre zwingend.

Andererseits wird diese Gebührensenkung offensichtlich nur darum vollzogen, weil Bundesrat und BAKOM so ihre Ansicht, die Empfangsgebühr sei gar keine Gebühr mehr, untermauern können. Für die Gebührenzahler heisst dies:  Die staatlichen Zwangsabgaben im Medienbereich werden künftig weiter zunehmen, die Verwendung der erhobenen Gelder jedoch wird zunehmend unklar. Und: Der Verfassungsvorbehalt zur Erhebung von Zwangsabgaben ist offensichtlich auch aus Sicht des höchsten Schweizer Gerichts nicht mehr relevant.

Meines Erachtens ist der gegenteilige Befund richtig: So lange sich Verfassungs- und Gesetzgeber nicht explizit anderslautend äussern, ist die Radio- und Fernsehempfangsgebühr klar als Kausalabgabe zu qualifizieren. Will man eine Steuer einführen, ist hierfür zunächst eine Verfassungsgrundlage zu schaffen. Die Erfindung einer neuen Kategorie von „Abgaben sui generis“ schliesslich lehne ich dezidiert ab – der Schutz des Eigentums ist ein zentrales Freiheitsrecht in jeder liberalen Demokratie und darf unter keinen Umständen in Frage gestellt werden. Dass dies weder Exekutive noch Judikative beschäftigt, stellt unseren Behörden kein gutes Zeugnis aus.

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)
 
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