Editorial

Fremde Richter oder Demokratie? Die Schweiz muss sich entscheiden.

Die Menschenrechte dienen dazu, die Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat zu schützen. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entzieht mit seiner Rechtsprechung den Bürgern ihre demokratischen Rechte. Die Schweiz als älteste Demokratie ist – mit ihren direktdemokratischen Volksrechten – hiervon am meisten betroffen.

Yves Nidegger
Yves Nidegger
Nationalrat Genf (GE)

Kann sich noch jemand an das Jahr 1974 erinnern? In jenem Jahr hat der Bundesrat die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert. Das Volk hierzu zu konsultieren, hielt er nicht für notwendig. In Europa herrschten zu jener Zeit verschiedene Diktaturen: Der Süden wurde von Militärdiktaturen dominiert (Portugal, Spanien und Griechenland), sozialistische Diktaturen waren in Zentral- und Osteuropa an der Macht. Die Schweiz und andere Mitglieder des „Clubs der Demokratien“ hofften mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Ort geschaffen zu haben, an dem die Werte der Demokratien erörtert werden können. Soweit so gut. Mit der Zeit wurde der Gerichtshof jedoch Opfer seines Erfolgs. Mehr und mehr masst er sich Kompetenzen an, die ihm so nie gegeben wurden. Mittlerweile sieht er sich als letztinstanzliches europäisches Gericht an und fühlt sich – wen wundert‘s – in dieser Rolle sehr wohl. 

Die juristischen Ausrutscher des Gerichtshofs in Strassburg führen in anderen Ländern zu massiver Kritik. Entsprechend deutlich äusserten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sowie der englische Premierminister David Cameron. Weder der Bundesrat noch die Parteien – mit Ausnahme der SVP – zeigen Interesse für dieses Problem. 

Art. 8 EMRK beispielsweise regelt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und will Schutz bieten vor willkürlicher staatlicher Einmischung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat aus dieser Bestimmung abgeleitet, dass kriminelle Ausländer, auch wenn diese mehrfach rückfällig geworden sind, nicht aus der Schweiz ausgewiesen werden dürfen. 

In seiner „Weisheit“ kam der EGMR am 16. April 2013 zum Schluss, dass die Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe und die Sozialhilfeabhängigkeit kein ausreichender Grund sei, um einen Ausländer auszuweisen und damit von seinen Kindern zu trennen. Es ging dabei um einen Nigerianer, welcher in der Schweiz unter falscher Identität lebte und dessen Asylgesuch abgelehnt wurde (Urteil des EGMR vom 16. April 2013; Affaire Udeh c. Suisse; Requête n° 12020/09). Im Jahr 2003 reiste er – mit der Absicht, eine Schweizer Bürgerin zu heiraten – wieder ein, nachdem er die Schweiz verlassen hatte. Die beiden bekamen Zwillinge. Drei Jahre später wurde Udeh in Deutschland beim Versuch Kokain einzuführen, festgenommen und zu 42 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüssung der Haftstrafe reiste Udeh zurück in die Schweiz zu seiner Familie. Die Ehe wurde später geschieden. Udeh blieb in der Schweiz und wurde 2012 erneut Vater. Die neue Partnerin ist Schweizerin. Der EGMR gab Udeh Recht, verurteilte die Schweiz, ihm 9’000 Euro Genugtuung zu bezahlen und ihm eine Aufenthaltsbewilligung  auszustellen. Der Gerichtshof hat Sinn und Zweck von Art. 8 EMRK total ausgeblendet.

Am 11. Juni 2013 hat der EGMR – wiederum abgeleitet aus Art. 8 EMRK – festgehalten, dass für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung eine lange Aufenthaltsdauer in der Schweiz und ein schlechter Gesundheitszustand höher zu gewichten sei, als die Sozialhilfeabhängigkeit und Straffälligkeit (Urteil des EGMR vom 11. Juni 2013; Affaire Hasanbasic c. Suisse; Requête n° 52166/09). Hasanbasic verliess im August 2004 nach 20 Jahren die Schweiz in Richtung seiner bosnischen Heimat, um dort sein neues Haus zu bewohnen. Aus gesundheitlichen Gründen änderte Hasanbasic ein gutes Jahr später seine Meinung und wollte in die Schweiz zurückkehren. Das Bundesgericht lehnte im Jahr 2009 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ab. Es begründete dies u.a. mit der Sozialhilfeabhängigkeit von Hasanbasic und mit dessen Verurteilungen wegen Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz sowie wegen Hausfriedensbruchs. Am 11. Juni 2013 entschieden die Strassburger Richter zugunsten von Hasanbasic. Einmal mehr setzte sich der Gerichtshof über den Inhalt von Art. 8 EMRK hinweg. 

Der Gerichtshof hat diese falsche Interpretation des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens am 8. Juli 2014 wieder aufgenommen. Die Richter befanden, dass die Schweiz einen in Genf wohnhaften, straffällig gewordenen Ecuadorianer nicht ausweisen darf. Die Schweiz würde damit nach Ansicht der Strassburger Richter das Recht des Mannes auf Achtung seines Familienlebens verletzen (Art. 8 EMRK; Urteil des EGMR vom 8. Juli 2014; M.P.E.V. and others v. Switzerland; Application no. 3919/13). Der Mann hatte drei offenkundig haltlose Asylgesuche gestellt und wurde dreimal aus der Schweiz ausgeschafft. Seine Schauergeschichten wurden in mühsamen Abklärungen durch die Schweizer Botschaft vor Ort geprüft und widerlegt. Als er am 1. Januar 2002 samt Ehefrau, Tochter und Stieftochter zum vierten Mal in die Schweiz einreiste, war er besser vorbereitet. Diverse Dokumente sollten belegen, dass er in seiner Heimat politisch verfolgt und gefoltert wurde. Die Unterlagen stellten sich als Fälschungen heraus. Mit Entscheid vom 7. September 2012 verwies das Bundesverwaltungsgericht den Ecuadorianer des Landes und lehnte einen Asylantrag ab, unter anderem, weil der Mann wegen Hehlerei verurteilt worden war. Die Frau und die Tochter erhielten eine Aufenthaltsbewilligung. Begründet wurde dies damit, dass sich das Paar getrennt habe und die Tochter, die bei der Mutter lebe, in der Schweiz vollständig integriert sei. Nach Auffassung der Strassburger Richter ist die Schweiz damit zu weit gegangen. Im einstimmig ergangenen Entscheid heisst es, dass die Ausweisung mit Blick auf die relativ geringfügigen Straftaten unverhältnismässig sei. Auch gehe es darum, dass der psychisch angeschlagene Mann im Kontakt mit seiner getrennt von ihm lebenden Frau und seiner Tochter bleiben könne. 

Mit solchen Entscheiden verhindern fremde Richter, dass die Schweiz ihr eigenes Recht auf eigenem Grund und Boden entsprechend durchsetzen kann. Dies führt dazu, dass demokratisch erlassenes Recht nicht angewandt werden kann. 

Auf der ganzen Welt werden wir um unsere direktdemokratischen Rechte beneidet. Bürger anderer Nationen können von solchen Rechten nur träumen. Wir träumen nicht, wir wählen und stimmen ab. Aber wie lange noch? Wie lange kann die Schweiz die Volksrechte noch erhalten? Werden wir auch in Zukunft eine Volksinitiative lancieren und über Referendumsvorlagen abstimmen können? 

Es ist offensichtlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jenen Personen in der Schweiz Hoffnung macht, denen die Volksrechte seit langem ein Dorn im Auge sind. Der Bundesrat hat mehrfach gezeigt, dass er von Volk und Ständen angenommene Verfassungsbestimmungen nicht anwenden bzw. umsetzen will. Er mag in den fremden Richter in Strassburg verbündete Freunde sehen.

Die Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ (Selbstbestimmungs-Initiative) bringt das Ganze auf den Punkt. Die Bundesverfassung soll die oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft sein. Der Zeitpunkt unser Recht wieder selber zu bestimmen ist gekommen.

 

Yves Nidegger
Yves Nidegger
Nationalrat Genf (GE)
 
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