Editorial

In diesem Spiel gibt es nur Verlierer

Zwar gilt auch am Bundesgericht der Proporz. Dennoch ist die SVP als grösste Partei massiv untervertreten. Dies hätte die Bundesversammlung heute mit der Ersatzwahl zweier Bundesrichter ändern können. Im Vorfeld war jedoch klar, dass die anderen Parteien vom System abweichen und eine CVP-Richterin wählen würden. Dieses Vorgehen kritisierte SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi in seinem Votum harsch.

Seit Dezember 2015 ist die SVP am Bundesgericht mit 1,5 Richterstellen untervertreten. Statt 11,5 Richtern, die der SVP gemäss dem gelebten Parteiproporz zustehen würden, hat die Vereinigte Bundesversammlung der SVP bisher lediglich 10 Bundesrichter zugestanden – dies im Gegensatz zur grünen Partei, die seit Dezember 2015 mit 2 Richterstellen am Bundesgericht übervertreten ist.

Nun hat einer der 10 der SVP angehörenden Bundesrichter, Bundesrichter Peter Karlen, seinen Rücktritt bekanntgegeben. Das Bundesgericht wird durch die Vereinigte Bundesversammlung gewählt, woraus das Gericht seine demokratische Legitimation gewinnt. Die Bundesversammlung beachtet dabei den Parteienproporz. Dies erlaubt es, die in der Bevölkerung vorhandenen Werthaltungen entsprechend auch am höchsten Gericht abzubilden. Wenn der Parteienproporz respektiert wird, weiss jeder, welcher Partei ein Sitz zukommt. Man wählt aus den Bewerbern dieser Partei den Besten oder die Beste aus. Bisher hat die Bundesversammlung diesen Grundsatz respektiert, und es hat auch funktioniert.

Die gemäss Medienberichten mit Stichentscheid des Gerichtskommissionspräsidenten von der CVP gefällte Empfehlung, bewusst von diesem System abzuweichen und für den zurücktretenden SVP-Richter anstelle des bestens qualifizierten SVP-Kandidaten einen CVP-Kandidaten vorzuschlagen, führt dazu, dass die SVP nur noch 9 Richter am Bundesgericht hätte, was zu einer Untervertretung von 2,5 Richterstellen führen würde. Eine solch krasse Untervertretung einer Partei hat es seit Einführung der Gerichtskommission im Jahr 2003 noch nie gegeben. Zudem würde die SVP damit gleich viele Richter stellen wie die SP, welche wesentlich kleiner ist.

Die SP ist die einzige Partei, die ihre Arbeit nicht gemacht hat
Die SVP-Fraktion kann die Argumente jener Parteien, welche die Nichtbeachtung des Parteienproporzes unterstützen, nicht nachvollziehen. Der Kandidat der SVP, Verwaltungsgerichtspräsident Dr. Thomas Müller, ist ein absolut ausgewiesener, bestens qualifizierter Kandidat. Er ist seit 15 Jahren kantonaler Höchstrichter, präsidiert das bernische Verwaltungsgericht und zugleich die bernische Justizleitung. Er hat damit langjährige praktische Erfahrung in der Leitung grosser Gerichtsorganisationen.

Die SVP stellt unter den neu verbleibenden Richtern am Bundesgericht vier Frauen. Die SVP lässt sich entsprechend auch nicht vorwerfen, mit ihrem Kandidaten eine Frauenverhindererin zu sein. Die einzige Partei, die ihre Arbeit nicht gemacht hat, ist die SP, die mit der heutigen Wahl mit nur noch einer einzigen Frau, die erst noch per Ende Jahr zurücktritt, am Bundesgericht vertreten ist. Schliesslich liess sich ein Ständerat in der „NZZ“ wie folgt zitieren: „Ich finde es institutionell falsch, wenn eine einzige Partei eine … Abteilung am Bundesgericht dominiert“; er meinte die zweite öffentlich-rechtliche Abteilung.
Herr Ständeratskollege, dieses Argument ist lediglich vorgeschoben. Wie Sie sehr wohl wissen, lautet Artikel 15 Absatz 1 des Bundesgerichtsgesetzes wie folgt: „Das Gesamtgericht besteht aus den ordentlichen Richtern und Richterinnen. Es ist zuständig für … die Bestellung der Abteilungen und die Wahl ihrer Präsidenten und Präsidentinnen auf Antrag der Verwaltungskommission.“ Mit anderen Worten: Wir wählen heute nicht einen Richter oder eine Richterin in eine bestimmte Kammer. Vielmehr organisiert sich das Bundesgericht selber. Und das Bundesgericht kennt sehr wohl interne Regeln, welche vorgeben, dass in einer Abteilung die absolute Mehrheit nie aus Mitgliedern einer Partei bestehen darf.
Zudem, Herr Ständeratskollege, haben Sie sicherlich den Widerspruch in Ihrem Argument erkannt: Wie können Sie den Parteienproporz pro Abteilung fordern, gleichzeitig aber den Parteienproporz auf Bundesgerichtsstufe nicht respektieren? Diese Argumentationslinie ist nicht kongruent.

Richterwahlen dürfen nicht zum parteitaktischen Ränkespiel werden
Die SVP hatte in der Vergangenheit auch nicht immer Freude an den Bundesgerichtskandidaten von Mitte-Links. Trotzdem haben wir die Regeln respektiert und auch Personen ans Bundesgericht gewählt, die uns politisch alles andere als nahestanden. Was wäre die Konsequenz, wenn Sie nun dem Entscheid Ihrer Gerichtskommission folgen und die CVP-Kandidatin statt des SVP-Kandidaten unterstützen würden? Jede Wahl ans Bundesgericht würde zu einem parteitaktischen Spiel verkommen. Die SVP-Fraktion hätte keinen Grund mehr, grüne oder SP-Richter zu wählen, weil diese die SVP-Kandidaten ja auch nicht unterstützt hätten.

Doch in einem solchen Spiel gibt es nur Verlierer. Verlierer wären die Gerichtskommission und die Vereinigte Bundesversammlung als Ganzes, denn vor jeder Wahl käme es zu einem parteipolitischen Hickhack. Verlierer wären die gutqualifizierten Kandidaten, denn es würde nicht mehr die Qualität zählen, sondern lediglich parteitaktische Überlegungen. Verlierer wäre auch die Judikative in unserem Land, weil die Besetzung der eidgenössischen Richterstellen nicht mehr nach sachlichen Gesichtspunkten, sondern nach Parteikalkül erfolgen würde.
Die SVP-Fraktion und ihr Bundesgerichtskandidat, Dr. Thomas Müller, wollen am System des Parteienproporzes festhalten. Aufgrund des Drucks der anderen Parteien, heute den Proporz nicht zu gewähren, hat sich unser Kandidat an der heutigen Fraktionssitzung entschieden, für die heutige Wahl nicht zur Verfügung zu stehen. Wir fordern aber die anderen Parteien auf, die uns mündlich und schriftlich versprochen haben, uns den Parteienproporz in der Herbstsession zu gewähren, diesem Versprechen im September Folge zu leisten.

Video zum Votum:

 
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