Editorial

Kollegenmord im Bundeshaus

In der Libyen-Affäre war der Buhmann rasch gefunden: Bundespräsident Merz soll durch sein eigenmächtiges Handeln dem Land gleich mehrfach Schaden zugefügt haben. Die Liste der Vorwürfe ist lang…

In der Libyen-Affäre war der Buhmann rasch gefunden: Bundespräsident Merz soll durch sein eigenmächtiges Handeln dem Land gleich mehrfach Schaden zugefügt haben. Die Liste der Vorwürfe ist lang. Man mag dem Bundespräsidenten in dieser Sache schwerwiegende Fehler zur Last legen, der Fall Libyen wirft aber insbesondere ein schiefes Licht auf den Bundesrat als Kollegium. Eine besonders problematische Rolle spielt dabei Aussenministerin Calmy-Rey.

Wieso meldet ihr Euch nicht markanter zu Wort? Wieso schiesst ihr nicht schärfer gegen das Gebaren von Gadaffi? Wieso fordert ihr nicht umgehend den Rücktritt von Merz? Solche und ähnliche Forderungen sind in der vergangenen Woche gleich mehrfach täglich telefonisch und per E-Mail auf dem Generalsekretariat der SVP eingegangen. Die Volksseele kocht. Wir haben uns in den letzten Tagen bewusst zurückgehalten. In den Bemühungen um die Heimführung von zwei Schweizer Geschäftsleuten aus Libyen spielen eben auch politische Signale aus der Schweiz eine Rolle. Wir wissen, dass man in Libyen sehr genau beobachtet, wie das Thema in der Schweizer Öffentlichkeit behandelt wird. Politik ist manchmal kompliziert.

Ist der Bundesrat noch handlungsfähig?
Das Thema Libyen wird nun von einer Causa Merz immer mehr zu einer Causa Gesamtbundesrat. Der Bundesrat scheint seit dem Ende der Sommerpause ausser Rand und Band. Gleich drei Bundesräte drängten sich nach der ersten Bundesratssitzung an die Mikrofone, um die Unterzeichnung des UBS-Vergleichs mit den USA zu verkünden. Eine solche Aufstellung ist jeweils ein untrügliches Zeichen dafür, dass man sich im Bundesrat nicht darüber einigen konnte, wer gegenüber den Medien eine frohe Botschaft verkünden dürfe. Soloauftritte wurden dafür durch einzelne Regierungsmitglieder in diversen Medien zelebriert. Man liess sich ausgiebig feiern. Schnell war das gegenseitige Schulterklopfen aber vorbei. Als Bundespräsident Merz einen Tag später nach Libyen flog und nicht alles nach Plan verlief, wurden die Dolche gezückt – und dem Kollegen in den Rücken gerammt. Die Bundesrätinnen Widmer-Schlumpf und Calmy-Rey distanzierten sich umgehend von ihrem Kollegen, letztere offenbar auch mit hinterhältigen Methoden. Was geht da eigentlich ab?

Immer wieder Calmy-Rey
Bundesrätin Calmy-Rey, die selbst besonders empfindlich auf vermeintliche Verstösse gegen die Kollegialität reagiert und sich auch nicht davor scheut, den Kollegen die Bundesanwaltschaft auf den Hals zu hetzen, scheint selber recht unzimperlich mit der Kollegialität umzugehen. Wenn aus ihrem Departement wirklich SMS an Journalisten geschickt wurden, um Merz während einer Pressekonferenz blosszustellen, ist das starker Tobak. Calmy-Rey hat indes guten Grund für ihren Aktivismus. Sie muss von ihrem eigenen Versagen ablenken. Sie hat in Libyen während mehr als einem Jahr nichts erreicht. Unter ihrer Führung im EDA hat die Schweizer Diplomatie massiv an Stellenwert eingebüsst. Mit ihrer „aktiven Aussenpolitik“ hat sie der über Jahrzehnten aufgebauten, neutralen Vermittlerrolle der Schweiz im internationalen Kontext grossen Schaden zugefügt. Dank ihr kann der Schweiz zum Beispiel in Krisenregionen wie dem nahen Osten Parteilichkeit vorgeworfen werden. Damit ist unser Land als unabhängige Vermittlerin weg vom Fenster. Ihr Enthusiasmus für eine internationale Einmischung der Schweiz, zum Beispiel ihr verbissener Kampf für Auslandeinsätze der Schweizer Armee, lösen im Ausland bestenfalls Kopfschütteln aus und führen innenpolitisch immer wieder zu Zerreissproben. Die Schwäche der Diplomatie – exemplarisch vorgeführt im Fall Libyen – ist aber auch auf eine desaströse Personal- und Amtsführung zurückzuführen. Die Günstlingswirtschaft im diplomatischen und konsularischen Umfeld schwächt die Schlagkraft unserer Vertretungen im Ausland. Mit planlosen Umbaumassnahmen in ihrem Departement hat Bundesrätin Calmy-Rey aber beispielsweise auch die einst stolze Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA entmachtet und in kurzer Zeit heruntergewirtschaftet. Ihr Leistungsausweis als Aussenministerin ist mager. Auf der Startseite der Homepage des EDA prangt zuoberst ein Bild von Calmy-Rey mit US-Aussenministerin Hillary Clinton. Regierungstätigkeit fürs Familienalbum.

Bevor nun die Rücktrittskeule gegen Merz geschwungen wird, sollte deshalb zuerst die Tauglichkeit von Frau Calmy-Rey als Aussenministerin hinterfragt werden.

 
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