Editorial

Pragmatische Unternehmer – dogmatische Funktionäre

Eine heute veröffentlichte Umfrage (auf Französisch) unter 515 KMU-Unternehmern in der Suisse Romande zeigt eine Zustimmung von 57% zur SVP-Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung". Dies fördert…

Martin Baltisser
Martin Baltisser
Bern (BE)

Eine heute veröffentlichte Umfrage (in französischer Sprache) unter 515 KMU-Unternehmern in der Suisse Romande zeigt eine Zustimmung von 57% zur SVP-Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung“. Dies fördert den tiefen Graben zwischen den Führungsriegen der Wirtschaftsverbände und ihrer unternehmerischen Basis zutage. Während auf den Verbandszentralen ein starker Abwehrreflex gegen jegliche Diskussionen rund um die Personenfreizügigkeit vorherrscht, hat die Basis eine differenzierte Sicht auf die Vor- und Nachteile der Zuwanderung.

Die befragten Unternehmer aus der Suisse Romande machen sich insbesondere Sorgen über blockierte Strassen, die zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und die steigenden Wohnkosten als Folge der Personenfreizügigkeit. Als weniger bedeutend sehen sie die Folgen auf die Sozialversicherungen an. Mehrheitlich positiv eingeschätzt werden die flankierenden Massnahmen. Die Chancen und Risiken ausgehend von der Personenfreizügigkeit halten sich nach Ansicht der Westschweizer Patrons die Waage. Eine bessere Steuerbarkeit und Begrenzung der Zuwanderung, wie sie die SVP-Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung“ fordert, wird indes begrüsst. Kritisch schätzen die Unternehmer die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien ein, welche im Jahr 2014 zur politischen Entscheidung anstehen dürfte.

Seriöse Debatte
Die Umfrage zeigt insgesamt ein sehr differenziertes Bild. Die KMU-Patrons sind durchaus bereit, eine Diskussion über die Folgen der Zuwanderung aus einer gesamtheitlichen Sicht zu führen. Kurzfristige Vorteile bei der Rekrutierung von Arbeitskräften stehen dabei nicht wegzudiskutierenden volkswirtschaftlichen Problemen durch die massive Zuwanderung gegenüber. Die Bevölkerungszahl in der Schweiz dürfte in diesen Tagen die 8 Millionen-Grenze überschreiten. Die Statistik des Bundesamtes für Migration zeigte jüngst, dass zwischen April 2011 und April 2012 erneut 80‘000 Personen mehr in unser Land ein- als ausgewandert sind. In den letzten zehn Jahren waren es insgesamt über 650‘000. Ein Unternehmer, der langfristig denkt, macht sich auch Gedanken über die Folgen dieser Entwicklung. Genau dies zeigt die in der Suisse Romande durchgeführte Umfrage.

Diese Offenheit gegenüber einer umfassenden Debatte kontrastiert mit dem Abwehrreflex, der in den Verbandszentralen noch immer vorherrscht. Das Mantra der Verbandsfunktionäre von den ausschliesslich positiven Folgen der Personenfreizügigkeit wird begleitet durch eine einseitige und selektive Kommunikation der Behörden. Die Medienmitteilungen im Zusammenhang mit den Zuwanderungszahlen erinnern eher an „Radio Eriwan“ denn an objektive Behördeninformation. So wurde vom Bundesamt für Migration kürzlich die Nettoeinwanderung von 80‘000 Personen in einem Jahr tatsächlich unter dem Titel „Leicht erhöhte Auswanderung gegenüber 2011“ kommuniziert. Die schönfärberischen Berichte des Staatssekretariates für Wirtschaft tragen ebenfalls nicht zu einer Versachlichung der Diskussion bei. Ob die in diesem Zusammenhang seit längerem angekündigten vertieften Analysen, welche voraussichtlich in diesem Herbst präsentiert werden, erhellend sein werden, wird sich zeigen.

Diskussion lässt sich nicht verhindern
Eine breite Diskussion über die Zuwanderung wird jedoch früher oder später geführt werden, ob die Spitzen der Wirtschaftsverbände dies nun wollen oder nicht. Der Beitritt von Kroatien zur EU auf Mitte des nächsten Jahres wird ein Anlass dazu sein und ansonsten spätestens die Debatte rund um die SVP-Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung“. Eine entsprechende Diskussion tut denn auch not. Die Bevölkerungsentwicklung liegt auf dem Pfad des „Hohen Szenarios“ des Bundesamtes für Statistik, das für das Jahr 2035 von 10 Millionen Einwohnern ausgeht. Unsere Infrastrukturen, die Raumplanung, die Energieversorgung, aber auch unser Bildungssystem und Gesundheitswesen sind darauf nicht ausgerichtet. Mit dogmatisch geprägten Haltungen lassen sich die damit zusammenhängenden Herausforderungen nicht lösen. Das wissen die Unternehmer aus eigener Erfahrung.

Martin Baltisser
Martin Baltisser
Bern (BE)
 
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