Editorial

Umsetzung Ausschaffungsinitiative – Vernehmlassungsteilnehmer missachten Volksentscheid

Die veröffentlichten Vernehmlassungsergebnisse zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative geben aus staatspolitischer Sicht zu grosser Sorge Anlass. Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmer behaupten…

Adrian Amstutz
Adrian Amstutz
Nationalrat Sigriswil (BE)
Die veröffentlichten Vernehmlassungsergebnisse zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative geben aus staatspolitischer Sicht zu grosser Sorge Anlass. Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmer behaupten allen Ernstes, die bestehenden Gesetzesgrundlagen reichten aus, um Ausschaffungen vorzunehmen und eine Verschärfung des geltenden Rechts sei nicht angezeigt. Derartige Äusserungen im Rahmen eines Vernehmlassungsverfahrens, welches im Zusammenhang mit der Umsetzung einer angenommenen Volksinitiative steht, sind unseriös und hochgradig demokratiefeindlich.
Volksentscheid
Am 28. November 2010 haben Volk und Stände die Volksinitiative „für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)" angenommen. Diese bestimmt, dass kriminelle Ausländer aufgrund bestimmter Delikte automatisch ausgeschafft werden. Damit wurde Art. 121 der Bundesverfassung um die Absätze 3-6 wie folgt ergänzt:
Art. 121 Abs. 3-6 (neu)
3 Sie (die Ausländerinnen und Ausländer) verlieren unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen
Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie:
a. wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind; oder
b. missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben.
4 Der Gesetzgeber umschreibt die Tatbestände nach Absatz 3 näher. Er kann sie um weitere Tatbestände ergänzen.
5 Ausländerinnen und Ausländer, die nach den Absätzen 3 und 4 ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren, sind von der zuständigen Behörde aus der Schweiz auszuweisen und mit einem Einreiseverbot von 5-15 Jahren zu belegen. Im Wiederholungsfall ist das Einreiseverbot auf 20 Jahre anzusetzen.
6 Wer das Einreiseverbot missachtet oder sonstwie illegal in die Schweiz einreist, macht sich strafbar. Der Gesetzgeber erlässt die entsprechenden Bestimmungen.

Ein direkter Gegenentwurf wurde von Volk und Ständen klar abgelehnt. Dieser sah unter anderem vor, dass bei jeder Ausweisung eine Güterabwägung vorzunehmen ist und die Begehung eines definierten Delikts nicht zwingend und automatisch zu einem Landesverweis führen muss.

Möglicher Spielraum bei der Umsetzung
Mit Annahme der Ausschaffungsinitiative wurde die gesetzliche Umsetzung eingeläutet. Die angenommene Verfassungsbestimmung zeigt, wo gesetzgeberischer Spielraum gegeben ist:

  • Absatz 4 gibt dem Gesetzgeber den Auftrag, die Tatbestände nach Absatz 3 näher zu umschreiben und allenfalls zu ergänzen;
  • Absatz 6 bestimmt, dass der Gesetzgeber Bestimmungen erlässt, die die Missachtung des Einreiseverbotes regeln.

Ausschliesslich bei diesen beiden Bestimmungen ist gesetzlicher Handlungsspielraum vorhanden. Der Ausschaffungs-Automatismus wurde jedoch vom Volk angenommen. Dies wollen oder können offenbar verschiedene Vernehmlassungsteilnehmer nicht akzeptieren, was rechtsstaatlich höchst bedenklich ist.

Abstruse Ausführungen verschiedener Vernehmlassungsteilnehmer
Tatsächlich haben verschiedene Vernehmlassungsteilnehmer beide Umsetzungsvarianten abgelehnt, als gäbe es weit und breit keinen Volksentscheid. Offenbar wollen diese die neue Verfassungsbestimmung einfach ignorieren. Zu diesen Vernehmlassungsteilnehmern gehören:

– Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP);
– Conseil d’Etat de la République et Canton de Genève (GE);
– Amnesty International, Schweizer Sektion (AI);
– Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBA);
– Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB);
– CARITAS Schweiz;
– Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS);
– FIMM – Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten;
– Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS);
– Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund (sek);
– Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH);
– Schweizerischer Friedensrat (SFR);
– Solidarité sans frontières (Sosf);
– Die Gewerkschaft. Unia;
– UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR);

Die von diesen Vernehmlassungsteilnehmern abgegebenen Voten sind teilweise unglaublich. So lehnt der Kanton Genf beide Varianten ab, weil diese zu einer „massiven Zunahme der Landesverweisungen" und damit zu „Kosten" führen würden. Genf verkennt nicht nur Sinn und Zweck der Ausschaffungsinitiative, der Kanton zieht es offenbar auch vor, Straftäter in der Schweiz weiter delinquieren zu lassen und übersieht, dass Strafverfahren und Strafvollzüge deutlich kostenintensiver sind. Schliesslich hält es Genf offenbar nicht für notwendig, seine Bevölkerung vor Straftätern zu schützen und blendet den Volksentscheid vom 28. November 2010 ganz aus.

HEKS, sek, SFH, UNHCR und Unia behaupten, mit einer Landesverweisung würden ausländische Personen doppelt bestraft. Das ist nicht korrekt. Zum einen ist der Landesverweis aufgrund der Systematik des Strafgesetzbuchs keine Strafe, sondern eine Massnahme, zum andern hat es jede ausländische Person selbst in der Hand, ob sie straffällig werden will oder nicht.

Alte Argumente diskutiert
Alle oberwähnten Vernehmlassungsteilnehmer haben in ihrer Vernehmlassungsantwort die Meinung vertreten, dass die Ausschaffungsinitiative gar keine völkerrechtskonforme Umsetzung zulasse. Diese Frage aufzuwerfen ist grundfalsch. Schliesslich hat das Parlament die Volksinitiative für gültig befunden, im Rahmen des Abstimmungskampfes wurden die Elemente der Volksinitiative detailliert erörtert und schliesslich haben Volk und Stände die Initiative angenommen. Damit hat das Volk auch zum Ausdruck gebracht, dass diese Verfassungsbestimmung anderslautenden Normen des internationalen und des Schweizerischen Rechts vorgeht. Namentlich für Verträge, welche die Schweiz mit anderen Staaten geschlossen hat, bedeutet dies, dass Nachverhandlungen zu führen bzw. solche Verträge zu kündigen sind, wenn sie mit der neuen Verfassungsbestimmung nicht kompatibel sind. Ohne derartige Massnahmen würden unsere Volksrechte hinfällig. Namentlich das Initiativrecht müsste eingestellt werden. Es darf nicht sein, dass sich das Volk im Vorfeld zu einer Volksabstimmung ausführlich mit einer Volksinitiative inhaltlich auseinandersetzt und nach Annahme durch Volk und Stände verkündet wird, eine Umsetzung erfolge nicht, weil der Inhalt mit internationalen Verträgen nicht übereinstimme. Das wäre ein Volksrecht für die Galerie. Genau diese Absicht verfolgen offenbar mehrere Vernehmlassungsteilnehmer, jedoch auch der Bundesrat und die Bundesverwaltung in zunehmendem Mass.

Vor der Abstimmung ist nicht nach der Abstimmung
Ist eine Volksinitiative von Volk und Ständen angenommen worden, darf bei der Umsetzung der Abstimmungskampf nicht mehr neu entfacht werden. Ab diesem Zeitpunkt gilt es, das Ergebnis zu akzeptieren und auch „missliebige" Initiativen dem Initiativtext entsprechend umzusetzen. Die SVP hat die Zweitwohnungsinitiative beispielsweise abgelehnt, steht nun aber zu einer getreuen Umsetzung derselben, auch wenn diese geltendem Recht widerspricht. Das sich die Inhalte von Volksinitiativen nicht ohne Weiteres in das bestehende materielle Recht einordnen lassen, liegt in der Natur der Sache. Schliesslich sind Volksinitiativen dazu da, eine neue Rechtslage zu schaffen. Dass dies Auswirkungen auf nationales und internationales Recht hat, ist Sinn und Zweck dieses Volksrechts.

Die Schweiz ist mit diesem Volksrecht stets gut gefahren und tut gut daran, diesem weiterhin Respekt zu zollen, speziell auch im Rahmen der Umsetzung.

Adrian Amstutz
Adrian Amstutz
Nationalrat Sigriswil (BE)
 
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