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Aussenpolitik

Ja zur Ausweitung des freien Personenverkehrs

Am 1. Juni 2002 sind die sieben sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU sowie 15 Mitgliedstaaten in Kraft getreten. Auf Grund der Erweiterung der EU am 1. Mai 2004 um acht ost- und…

Nationalrat Hermann Weyeneth, Jegenstorf (BE)

Am 1. Juni 2002 sind die sieben sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU sowie 15 Mitgliedstaaten in Kraft getreten. Auf Grund der Erweiterung der EU am 1. Mai 2004 um acht ost- und mitteleuropäische Staaten sowie Zypern und Malta, wurden sechs der sieben Abkommen automatisch auf die neuen EU-Mitgliedstaaten ausgedehnt. Sie sind in Zukunft zwischen der Schweiz und den 25 EU-Mitgliedstaaten anwendbar.

Anders als die sechs sektoriellen Abkommen, ist das Freizügigkeitsabkommen (FZA) als gemischtes Abkommen konzipiert, d.h. dass es von der Schweiz mit der EU und den damaligen 15 Mitgliedstaaten am 21. Juni 1999 abgeschlossen wurde. Zur Ausdehnung des FZA auf die zehn Beitrittstaaten mussten daher im Prinzip mit allen Vertragsparteien Verhandlungen geführt werden.

Die Personenfreizügigkeit wird zwischen der Schweiz und den neuen EU-Mitgliedstaaten nicht schneller realisiert, als gegenüber den 15 bisherigen EU-Mitgliedstaaten. Nach dem Muster der bisherigen EU-Mitgliedstaaten kann die Schweiz ihre nationalen Beschränkungen bezüglich Arbeitsmarkt (Kontingente, Inländervorrang, Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen) während der Übergangsfrist bis am 30. April 2011 beibehalten. Jährlich steigende Kontingente werden es erlauben, die Einwanderung erwerbstätiger Personen während dieser Übergangsperiode zu limitieren. Ausserdem kann die Schweiz für Kurzaufenthalter bis vier Monate und in verschiedenen Dienstleistungsbranchen für die Zulassung von Dienstleistungserbringern (selbstständig Erwerbende) weiterhin Qualifikationsvoraussetzungen anwenden.

Gemäss dem 1999 mit den EU-15 abgeschlossenen FZA (Art. 10 Abs. 4) hat die Schweiz bis im Jahr 2014 weiterhin die Möglichkeit, im Rahmen einer besonderen Schutzklausel erneut Höchstzahlen festzusetzen. Die Personenfreizügigkeit gilt reziprok auch für Schweizer Staatsbürger, die in den neuen EU-Mitgliedstaaten leben und arbeiten wollen.

Können die Arbeiter nicht zu den Maschinen kommen, gehen die Maschinen zu den Arbeitern

Dank der Erweiterung der EU und der Ausdehnung der sieben bilateralen Abkommen profitiert die Schweiz vom Zugang zum erweiterten EU-Binnenmarkt, was eine grosse Chance für das Wirtschaftswachstum der Schweiz darstellt. Diese Etappe erlaubt den privilegierten Zugang zu 75 Millionen potentiellen Konsumenten der mittel- und osteuropäischen Märkte. Das Bruttoinlandprodukt dürfte in der Schweiz um 0,2-0,5% zunehmen. Dies entspricht 1-2 Mrd. Franken pro Jahr. Wegen der Flexibilität des Schweizerischen Arbeitsmarktes können wir aus dem Arbeitskräfteangebot der neuen EU-Mitgliedstaaten den besten volkwirtschaftlichen Nutzen ziehen. Die Bevölkerung aus Mittel- und Osteuropa verfügt über ein relativ hohes Bildungsniveau. Dank der Ausdehnung des FZA wird das Potential an qualifizierten Arbeitskräften für die Schweizer Wirtschaft erweitert.

Die Landwirtschaft, der Tourismus und das Gesundheitswesen können ihren Bedarf an weniger qualifizierten Arbeitskräften leichter als in der Vergangenheit abdecken. Die Schweizerischen Unternehmen haben die gleiche Möglichkeit wie ihre Konkurrenten aus der EU, Arbeitskräfte in den neuen EU-Mitgliedsstaaten zu rekrutieren.

Übergangsfristen

Die Übergangsfristen sind in Art. 2 des Zusatzprotokolls definiert. In einer ersten Phase behält die Schweiz alle arbeitsmarktlichen Beschränkungen gegenüber den neuen EU-Mitgliedstaaten (ausser Zypern und Malta) bis am 31. Mai 2007 bei. Vor Ablauf dieser ersten Phase erstattet die Schweiz dem Comité mixte (Gemischter Ausschuss) einen Bericht und notifiziert, ob sie die arbeitsmarktlichen Beschränkungen während einer zweiten Übergangsphase bis am 31. Mai 2009 weiter führen will. Sofern nach fünf Jahren schwere Störungen auf dem Arbeitsmarkt oder in der Wirtschaft nachgewiesen werden oder drohen, können die arbeitsmarktlichen Beschränkungen bis am 30. April 2011 beibehalten werden.

Gestützt auf das FZA hat die Schweiz bis ins Jahr 2014 die Möglichkeit, bei massiver Zuwanderung, im Rahmen einer Schutzklausel (Ventilklausel) ohne Retorsionsmassnahmen seitens der EU erneut Höchstzahlen festzusetzen.

Kontingente

Die EU forderte, dass die Schweiz ihre Kontingente gegenüber den Staatsangehörigen der EU-15 um 20% erhöht, um der Zunahme der Bevölkerung der EU infolge der Erweiterung Rechnung zu tragen. Die Schweiz war nicht bereit, einer Erhöhung der Kontingente in diesem Masse zuzustimmen, da die Einwanderung aus den mittel- und osteuropäischen Ländern stets stark limitiert war. Ab Inkrafttreten des Zusatzprotokolls und bis zum Ende der zweiten Übergangsphase am 31. Mai 2009 stellt die Schweiz Arbeitnehmern aus den neuen EU-Mitgliedstaaten gemäss Art. 2 lit. b des Zusatzprotokolls jährlich aufsteigende Kontingente von Kurzaufenthalts- und Aufenthaltsbewilligungen zur Verfügung. Im ersten Jahr werden 900 Aufenthaltsbewilligungen und 9’000 Kurzaufenthaltsbewilligungen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt. Diese Kontingente steigen im Verlauf der Übergangsfrist auf 3’000 Aufenthaltsbewilligungen und 29’000 Kurzaufenthaltsbewilligungen für die letzte Kontingentsperiode zwischen dem 31. Mai 2010 und dem 31. Mai 2011 an. Erst am Ende der Übergangsperiode (2011) steigt die Anzahl der verfügbaren Kontingente also effektiv auf 20% der bisher für die EU-15 Staaten vorgesehenen Kontingente.

Für verschiedene Kategorien von Arbeitnehmern wurden für die Übergangsperiode
spezielle Bedingungen ausgehandelt:

Nicht kontingentierte Kurzaufenthalter bis 4 Monate

Gemäss Art. 2 lit. b behält die Schweiz die gegenwärtige Regelung bezüglich der Zulassung der Erwerbstätigen für eine max. Dauer von vier Monaten bei. Gemäss der Verordnung über die Begrenzung der Zahl der Ausländer BVO (Art. 13 lit. d und Art. 8) bleibt die Erwerbstätigkeit bis vier Monate nicht kontingentiert und die Qualifikationsvoraussetzungen werden beibehalten. Kurzaufenthalter, die die Qualifikationsvoraussetzungen nicht erfüllen, können unter Anrechnung an das Kontingent zugelassen werden.

Dienstleistungserbringer

Die Schweiz kann, wie Deutschland und Österreich, Zulassungsbeschränkungen (Inländervorrang, Lohnkontrolle und Qualifikationsvoraussetzungen) in bestimmten Branchen aufrechterhalten. Diese Branchen sind gemäss Art. 2 lit. b Zusatzprotokoll: Bauhaupt- und Baunebengewerbe, Gartenbau, Reinigungsgewerbe, Schutz und Sicherheit.

Selbständige Erwerbstätigkeit

In der EU profitieren selbständig Erwerbstätige aus den neuen EU-Mitgliedstaaten seit dem 1. Mai 2004 von der Niederlassungsfreiheit der selbständig Erwerbstätigen. In der Schweiz werden selbständig Erwerbstätige aus den neuen EU Mitgliedstaaten wie solche aus den bisherigen 15 EU-Staaten behandelt. Sie werden nur während der ersten zwei Jahre (bis 31. Mai 2007) den Kontingenten des Zusatzprotokolls unterstellt (Art 2 lit. b Zusatzprotokoll). Der Inländervorrang und die Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen werden bei den selbständig Erwerbstätigen nicht mehr angewendet.

Auch wenn ich mit Bezug auf Schengen/Dublin meine grosse Mühe habe und dieses Abkommen ablehne, so bin ich doch für die Bilateralen II teilweise eingetreten und habe fallweise diese beurteilt und im Gegensatz zu meine Fraktionskollegen in der APK diese Abkommen nicht in Bausch und Bogen verworfen. So hat es übrigens die grosse Mehrheit der Fraktion auch gehalten. Das führt mich dazu, bei dieser Frage der Osterweiterung einzutreten und dafür zu sein, weil – in einem Umkehrschluss – die Ablehnung dieser Osterweiterung eine erhebliche Gefahr für das Weiterbestehen der ganzen bilateralen Verträge bedeuten würde. Das ist auch verständlich, denn die EU versteht sich als eine Gesamtheit und würde ihren Bürgern gegenüber schlecht begründen können, weshalb sie mit der Schweiz einen Vertrag hinsichtlich der Personenfreizügigkeit abschliesst, der für die alten fünfzehn Staaten ein besseres Regime erlaubt als für die neuen zehn Staaten. Die Konsequenz liegt von mir aus gesehen auf der Hand: Wir müssen dieses Freizügigkeitsabkommen von 1999 auf die nun mittlerweile zehn hinzugetretenen osteuropäischen Länder ausdehnen.

Das riesige Lohngefälle würde zweifellos einen sozialen Schock in der Schweiz auslösen, wenn man es nicht abtempieren würde und wenn entsprechende Arbeitnehmer zu osteuropäischen Konditionen in der Schweiz arbeiten könnten. Davon kann im Moment natürlich keine Rede sein, denn in einer ersten Phase werden ja die arbeitsmarktlichen Massnahmen in ihrer vollen Schärfe, wie wir sie auch schon vom Vertrag zu den Bilateralen I her kennen, greifen. Das heisst mit anderen Worten: In einer ersten Phase wird es gegenüber allen zehn osteuropäischen Staaten, den Inländervorrang geben. Es gibt auch eine Kontingentierung von Zuwanderern. Die Lohn- und Arbeitsaufsicht der Kantone wird weiterhin in der ganzen Schärfe und Härte aufrechterhalten bleiben.

In einer zweiten Phase, wenn diese arbeitsmarktlichen Massnahmen entfallen, werden die flankierenden Massnahmen dann greifen können. Es ist für mich völlig klar, dass es bei der Öffnung unseres Arbeitsmarktes zur Absicherung eine abgestufte Flankierung braucht, damit es keinen sozialen Absturz gibt.

In der Tat ist aus meiner Sicht die sofortige Inkraftsetzung dieser flankierenden Massnahmen nicht notwendig und zwar deswegen nicht, weil gegenüber den osteuropäischen Staaten die arbeitsmarktlichen Massnahmen weiterhin, mindestens bis zum 1. Juni 2007, allenfalls bis zum 1. Juni 2009 oder sogar bis zum 1. Juni 2011 greifen. So lange brauchen wir die flankierenden Massnahmen eigentlich gar nicht, denn diese arbeitsmarktlichen Massnahmen sind ja schärfer als all das, was wir mit den flankierenden Massnahmen nun beschliessen. Wir haben Kontingente, wir haben den Inländervorrang, usw. Ich will Ihnen sagen: Das ist nicht einmal eine Frage, die anrüchig ist, denn prüfen Sie sich selbst: Wenn Sie grenznah wohnen, wie viele Male gehen Sie über die Grenze ins Ausland und kaufen billig ein? Hier hält man keine flankierenden Massnahmen für nötig. Wenn Sie in der Grenzregion wohnen und die Möglichkeit haben, einen Vorarlberger für eine bestimmte Aufgabe heranzuziehen, der halt zu einem Preis von 60 Prozent Arbeit von gleich guter Qualität leistet wie ein Inländer, dann sind Sie eben leicht versucht, das zu tun. Es ist für unsere Volkswirtschaft im Moment nicht gerade angenehm, aber das sind Entwicklungen, mit denen man halt rechnen musste, als man die Bilateralen I angenommen hat.

Nun hat man auch dort flankierende Massnahmen beschlossen und jetzt kommt man nach fünf Monaten und sagt, die flankierenden Massnahmen I genügten nicht; wir müssten sie jetzt sofort verschärfen. Letzten Endes geht es hier darum, die Osterweiterung abzusichern. Mit den alten Personenfreizügigkeitsfragen müssen wir mit den heutigen flankierenden Massnahmen selbst über die Runden kommen, und wenn wir nach weiteren sechs Monaten sehen, dass es tatsächlich nicht geht, ist es immer noch früh genug, hier einen Zacken zuzulegen.

Zusammenfassung

Ich komme zum Schluss und möchte meine Ausführungen wie folgt zusammenfassen:

  1. Das Personenfreizügigkeitsabkommen ist für unser Land und unsere Wirtschaft von grosser Bedeutung. Die schrittweise, kontrollierte Öffnung der Arbeitsmärkte sowie die flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping verhindern negative Effekte.
  2. Das Abkommen ist Teil des bewährten bilateralen Weges. Dieser erlaubt es, mit der EU, unserer mit Abstand wichtigsten Partnerin, geregelte Beziehungen zu pflegen. Die Abkommen schaffen Rechtssicherheit und entsprechen den spezifischen Interessen beider Seiten. Sie sind massgeschneidert.
  3. Der bilaterale Weg ist dadurch charakterisiert, dass er keine späteren europapolitischen Entscheidungen präjudiziert. Sowohl EU-Gegner wie Befürworter können sich mit dem bilateralen Weg anfreunden.
  4. Es ist daher auch nicht erstaunlich, dass der bilaterale Weg bei der Schweizer Bevölkerung hohe Unterstützung geniesst. Die europapolitischen Volksentscheide der letzten Jahre haben dies mehrfach bestätigt. Ich bin zuversichtlich, dass das Volk auch dieses Mal die europapolitischen Vorschläge unseres Parlamentes und der Landesregierung gutheissen wird.
 
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