Referat

Kann Familienpolitik liberal sein?

Ein Blick auf die Entwicklung der Familie in der modernen Gesellschaft macht einmal mehr deutlich, dass die freie Marktwirtschaft einen „grossen Befreier" darstellt – der Männer wie auch der Frauen…

von Pierre Bessard, Direktor Liberales Institut

Ein Blick auf die Entwicklung der Familie in der modernen Gesellschaft macht einmal mehr deutlich, dass die freie Marktwirtschaft einen „grossen Befreier“ darstellt – der Männer wie auch der Frauen, der Eltern wie der Kinder. Die Erfolgsgeschichte der Marktwirtschaft seit dem frühen 19. Jahrhundert hat massgeblich die ökonomische Abhängigkeit der verschiedenen Familienmitglieder voneinander reduziert. Heute wählen die Menschen das Zusammenleben in der Familie weil sie wollen, nicht weil sie müssen.

Der seit der Industriellen Revolution rasant gewachsene Wohlstand hat die Männer von erschöpfender Subsistenzarbeit befreit, die Frauen konnten zugleich mit entlohnter Arbeit und Unternehmertum wirtschaftlich unabhängig von den Männern werden – beide konnten damit massgeblich an individueller Freiheit gewinnen. Die in der Folge festzustellende Zunahme der Scheidungsraten, der Trend zur Singlegesellschaft sowie zu alternativen Formen des Zusammenlebens sind zweifellos Folgen dieser erhöhten Freiheit, sie ersetzen aber die Familie nicht.

Im Gegenteil, der freie Markt ermöglicht erst unser heutiges Verständnis der intakten Familie als natürliche Einheit sozialer Sicherung und Selbsthilfe. Kinder, die in der Vergangenheit meist arbeiten mussten, konnten nur dank des vom freien Markt erbrachten Reichtums flächendeckend eine Ausbildung erhalten. Ihre Bedeutung als Alterssicherung nahm mit zunehmendem Wohlstand ab. Die Ehe entwickelte sich von einer zwanghaften Notwendigkeit zu einer romantischen Herzensangelegenheit.

Die Familie ist heute der natürliche Raum der geistigen und materiellen Geborgenheit, in welchem die Kinder heranwachsen, sich entwickeln, ihre Werte, Kompetenzen und ihre Handlungsfähigkeit als künftige Erwachsene aufbauen. Die Familie, die ja zur unmittelbaren Umwelt eines Menschen gehört, nimmt auch die wichtige Funktion einer sozialen Kontrolle wahr, sie dient der erfolgreichen Sozialisation des Menschen.

Genau deshalb gilt die Familie unfreiheitlichen, kollektivistischen Strömungen regelmässig als Feindbild. Sozialistische, sozialdemokratische und andere Ideologien haben immer wieder versucht, die Einheit der Familie zu zerstören, um einer Gesellschaft ihre Vorstellungen aufzwingen zu können. Bekanntlich ging dieser Drang bis hin zur Trennung der Kinder von ihren Eltern und der Einweisung in kollektive Erziehungsinstitutionen. Schon in Platons Republik plädiert Sokrates dafür, dass Kinder anonym erzogen werden, damit die Identifikation mit dem Staat vollkommen wird.

Leider sind derartige Angriffe auf die Familie nicht nur ein Merkmal der Ideologie oder primitiver politischer Systeme. In Zeiten steuerfinanzierter Krippen, Familienzulagen, Sozialversicherungen, Früheinschulungen, Ausbildungszulagen usw. verkommt auch bei uns die Familie zusehends zu einer – etwas salopp ausgedrückt – „öffentlichen Agentur für Reproduktionszwecke“.

Warum wird eine interventionistische Familienpolitik immer populärer? Ihre politische Attraktivität hat wohl viel mit der finanziellen Schieflage der staatlichen Sozialsysteme zu tun, vor allem des Umlagesystems der öffentlichen Altersvorsorge. Die Bürger sollen zu einer erhöhten Kinderproduktion ermuntert werden, um diese als Finanzierungsinstrumente der staatlichen Rentenökonomie zuführen zu können.

Ein Blick auf die Entwicklung der Soziallasten spricht hier Bände – sie hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten auf rund 27 Prozent des Bruttoinlandprodukts mehr als verdoppelt – eine gewaltige Belastung der erwerbstätigen Gesellschaft. Die Lebenserwartung hat sich erfreulicherweise seit der Einführung der AHV von 68 auf 82 Jahre erhöht, aber das viel zu niedrige politische Referenzalter von 65 Jahren ist dabei stehen geblieben. Dabei sind alle Mittel recht, um die notwendigen Reformen zu vermeiden.

Die Familienpolitik versucht heute demagogisch Kinder als einen reinen Kostenfaktor darzustellen, der den Eltern materiellen oder beruflichen Verzicht abverlangt. Die Finanzierungslogik der Bürokratie wird hier auf die Zivilgesellschaft übertragen. Gerade so, als ginge es bei der Gründung einer Familie heute noch im Kern um materielle Fragen, und nicht um Fragen der Einstellung, der Werte und des persönlichen Glücks.

Weitet man aber den Blick auf die vielfältigen Interventionen des Wohlfahrtsstaates aus, zeigt die Familienpolitik ein abenteuerliches Janusgesicht: einerseits werden die Familien durch immer höhere Steuern und Zwangsabgaben belastet, andererseits werden sie durch willkürliche Subventionen wieder „gefördert“ – welche sie freilich direkt oder indirekt selbst finanzieren müssen. Zu Recht wurde der Wohlfahrtsstaat definiert als die politische Kunst, die Bürger mit ihrem eigenen Geld vom Staat abhängig zu machen.

Die Familienpolitik macht die Familien nicht wohlhabender, sondern nur abhängiger.
Wenn der Wohlfahrtsstaat in eine unvermeidliche Schieflage kommt, dann müssen seine Sozialsysteme verändert und verbessert werden, etwa durch die volle Kapitalisierung der Altersvorsorge. Weniger Umverteilung und weniger Steuerbelastung ist die beste Politik, die im Dienste der Familie gemacht werden kann.

Eine Stärkung der Familie in einer lebendigen Zivilgesellschaft und einer prosperierenden Wirtschaft erfordert eine Rückbesinnung auf deren Autonomie.

 
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