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Aussenpolitik

Nein zur Ausweitung des freien Personenverkehrs

Wir stehen vor den wichtigsten aussenpolitischen Abstimmungen seit dem 6. Dezember 1992. Die ganze strategische aussenpolitische Ausrichtung der Schweiz steht auf dem Spiel. „Zwei mal ja" bei…

Luzi Stamm
Luzi Stamm
Nationalrat Baden-Dättwil (AG)

Wir stehen vor den wichtigsten aussenpolitischen Abstimmungen seit dem 6. Dezember 1992. Die ganze strategische aussenpolitische Ausrichtung der Schweiz steht auf dem Spiel. „Zwei mal ja“ bei Schengen und der Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf neue EU-Staaten würde unser Land mittel- und langfristig dramatisch verändern. Die Unabhängigkeit der Schweiz würde in Frage gestellt.

Völlig falsche Prognosen

Mit riesigem Propagandaaufwand erzählt man uns, es werde bei der Ausweitung der Personenfreizügigkeit keine schädliche Einwanderung geben. Man halte sich vor Augen, welch falsche Prognosen uns beim Transit-Verkehr aufgetischt worden sind. Es hiess, man werde eine rentable Neat bauen und die Lastwagen auf die Schiene bringen. Der Bundesrat hatte sogar im Abstimmungsbüchlein behauptet, es werde „keine Lastwagenlawine“ geben. Jeder, der die Augen aufmacht, sieht, welch katastrophal falsche Versprechungen hier gemacht worden sind.

Und nun geht dasselbe Spiel wieder los. Nur geht es dieses Mal nicht nur um Lastwagen. Dieses Mal steht unvergleichbar mehr auf dem Spiel – nämlich der gesamte Wohlstand unseres Landes. Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, müsste erkennen, dass die Beschwichtigungen, es werde keine schädliche Zuwanderung geben, mindestens so falsch sind wie bei den Lastwagen. Auch damals wurde uns weisgemacht, man habe die schädlichen Auswirkungen mit „flankierenden Massnahmen“ im Griff.

Rechtsanspruch auf Zuwanderung entsteht

Viele Befürworter haben nicht einmal verstanden, was „freier Personenverkehr“ heisst: Er bedeutet, dass jeder Ausländer einen Rechtsanspruch auf Zuwanderung erhält, womit unsere Behörden ganz einfach jede Möglichkeit verlieren, die Zahl und die Qualität der Einwanderungen zu steuern. Wieso soll es für uns ein Vorteil sein, wenn wir nicht mehr zwischen nützlicher und schädlicher Einwanderung unterscheiden dürfen?

Was von den Befürwortern behauptet wird, widerspricht sämtlichen ökonomischen Gesetzen und jeder Logik. Freie Einwanderung wirkt immer und überall nivellierend. Eine unkontrollierbare Einwanderung bringt einem wohlhabenden Land immer Nivellierung nach unten. Bei Wohlstands¬unterschieden liegt freie Einwanderung deshalb logischerweise immer im Interesse der armen Länder, nie im Interesse der reicheren. Weshalb sonst haben Länder wie USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan etc. so rigorose Einwanderungsgesetze?

Wie der Bundesrat argumentiert, ist absurd. Wenn er wenigstens sagen würde, er sei aufgrund der Umstände bereit, die Ausweitung des freien Personenverkehrs in Kauf zu nehmen, obwohl sie nachteilig für unser Land ist. Aber weit gefehlt. Der Bundesrat verkauft die Ausweitung als „grosse Chance“ und ist sogar noch bereit, dafür eine Milliarde an Steuergeldern zu bezahlen. Die Argumentation der Regierung ist grotesk.

Personenfreizügigkeit hat nichts mit Marktöffnung zu tun

Das Argument, Personenfreizügigkeit habe etwas mit Marktöffnung zu tun, ist völlig deplaziert. Die Marktöffnung mit neuen EU-Ländern besteht; mit den zehn Ländern der Osterweiterung sind die Märkte seit dem 1. Mai 2004 geöffnet. Jetzt geht es nur noch um die Frage, ob wir freie Einwanderung zulassen wollen. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Nehmen Sie die USA als Beispiel: Die Amerikaner sind besonders vehemente Verfechter der Marktöffnung, kämen aber nicht im Traum auf die Idee, je Personenfreizügigkeit einzuführen. – Aus diesem Grund ist auch die Kampagne der Funktionäre von economiesuisse, welche auf dem Argument der „Marktöffnung“ basiert, grundfalsch – dies hat mit der Personenfreizügigkeit nichts zu tun. Allerdings führt economiesuisse ein bezahltes Mandat und hat die Strategie mit dem Bundesrat abgekartet.

Völlig falsch ist es auch, zu behaupten, es brauche die Personenfreizügigkeit, um aus den betreffenden Ländern Arbeitskräfte rekrutieren zu können. Leute, die wir in der Schweiz brauchen, können wir selbstverständlich immer kommen lassen. Das hängt nur von unseren einheimischen Regeln ab, dazu braucht es sicher kein Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU. Und mit eigenen Gesetzen behalten wir die Flexibilität und Handlungsfreiheit, das zu tun, was uns nützt.

Und wenn behauptet wird, man brauche einen Arbeitsvertrag, um in die Schweiz kommen zu können, so ist auch das schlichtweg nicht wahr. Es wird einfach verschwiegen, dass jedermann in jeder Branche als selbständig Erwerbender kommen und seine Dienste zu Tiefstpreisen anbieten kann. Jedermann kann sich ein Natel kaufen und sich als selbständiges Putzinstitut verkaufen. Jedermann kann mit dem Wohnwagen anreisen und als fahrender Taglöhner bei uns arbeiten.

Flankierende Massnahmen sind schädlich

Was sollen Mindestlöhne und Gesamtarbeitsverträge bei selbständig Erwerbenden nützen? Das sind alles nur leere Versprechungen und Täuschungen. Die Gewerkschaften wissen bestens, dass die „flankierenden Massnahmen“ Lohndumping und Arbeitslosigkeit niemals werden verhindern können. „Sozialstaat“ und „Einwanderungsland“ sind unüberbrückbarere Gegensätze.

Die flankierenden Massnahmen sind nicht nur nutzlos, sondern schädlich für die Wirtschaft. Die Flexibilität des Arbeitsmarkts war bisher einer der wenigen verbleibenden Wettbewerbsvorteile, den unser Land noch aufwies. Unsere Partei hat immer betont, dass sie gegen eine Ausweitung der flankierenden Massnahmen opponieren werde. Es ist deshalb folgerichtig, dass wir die auf dem Tisch liegende Ausweitung der Personenfreizügigkeit, welche nach der Parlamentsdebatte mit noch umfangreicheren flankierenden Massnahmen gekoppelt ist, ablehnen. Dass die Wirtschaftsverbände mit den Gewerkschaften einen Pakt abgeschlossen haben und bereit sind, die flankierenden Massnahmen noch weiter auszudehnen, ist das Gegenteil von wirtschaftsfreundlich. Es geht bei diesen gesetzlichen Regelungen einzig und allein darum, dass die Macht der Gewerkschaften ausgedehnt wird. Und dies schadet dem Wirtschaftsstandort Schweiz.

Ausweitung der Freizügigkeit im Interesse der Unternehmer?

Als nächstes werden Rumänien und Bulgarien der EU beitreten. Aller Voraussicht nach werden die Balkanstaaten (Kroatien, Serbien inkl. Kosovo, Bosnien, Mazedonien, Albanien) folgen. Weiter ist der Beitritt der Türkei im Grundsatz beschlossen. Wir bekommen es also mit Staaten zu tun, die eine Arbeitslosigkeit von bis zu 20% haben und wo Löhne gezahlt werden, die nur einen Fünftel bis einen Zehntel der Schweizer Löhne betragen.

Fragen Sie einmal einen Unternehmer, weshalb er den freien Personenverkehr mit solchen Ländern wünscht. Kein weitsichtiger Unternehmer kann, wenn er langfristig denkt, Personenfreizügigkeit mit Staaten mit so tiefem Lebensstandard fordern. Ausländische Arbeitskräfte können wir, wie gesagt, auch auf anderem Wege rekrutieren. Aber kein Unternehmer kann daran interessiert sein, die Schleusen auch für diejenigen zu öffnen, die nur von Sozialleistungen profitieren wollen; dass die Kriminalität steigt; dass das Schulniveau noch mehr sinkt. Wenn die EU das wirtschaftliche Prinzip „runter mit Deutschland, rauf mit Polen“ verfolgt, so ist das ihre Sache. Aber kein Unternehmer kann an einer Entwicklung wie in Deutschland interessiert sein, bei der die Arbeitsmentalität zerstört und der Wohlstand gesenkt wird.

Vorschlag der SVP: zuerst Probleme lösen und dann weitere Entscheide fällen

Die Einwanderung ist schon heute viel höher, als die meisten Leute ahnen. Seit 1991 ist die Bevölkerung der Schweiz – trotz Stagnation der einheimischen Bevölkerung – um offiziell 700’000 Menschen gewachsen, also um mehr als das Total der Einwohner der Städte Zürich, Basel und Genf (dazu kommen Kategorien wie Asylbewerber, „vorläufig Aufgenommene“ etc. sowie inoffiziell die „Papierlosen“, die auf bis zu 300’000 geschätzt werden). Jahr für Jahr steigt unsere Bevölkerung via Einwanderung um über 50’000, was etwa der Bevölkerung der Stadt Luzern entspricht. Die Einführung der Personenfreizügigkeit treibt diese Zahlen weiter in die Höhe, wie die Werte seit dem 1. Juni 2004 zeigen. Allein im Kanton Zürich treten jeden Monat 2’000 Arbeitskräfte aus der EU eine Stelle an. In Genf ist die Zahl der Grenzgänger aus Frankreich bis Ende 2004 um über 4’000 auf 45’000 angestiegen.

Die SVP hat immer betont, dass eine Ausweitung erst dann in Frage kommt, wenn mit den „alten“ fünfzehn EU-Staaten Erfahrungen gesammelt werden konnten. Nach der Zusicherung des Bundesrates, im Jahre 2009 könne man über die Erfahrungen mit den Bilateralen I noch einmal befinden, hat die SVP dieselben damals angenommen. Dieses Versprechen soll die Regierung nun halten. Eine Ausweitung der Personenfreizügigkeit bereits jetzt kommt nicht in Frage; es ist nur folgerichtig, jetzt „nein“ zu sagen. Die SVP hat im Nationalrat eine goldene Brücke bauen wollen, mit der die Interessen der Wirtschaft und der Unternehmer abgedeckt gewesen wären: Zuwarten und gleichzeitig der Wirtschaft in der Zwischenzeit die benötigten Arbeitskräfte ermöglichen. Es spricht Bände, dass dieser Antrag abgelehnt wurde, ohne dass sich die Gegner gross damit auseinandergesetzt hätten.

Der Verrat an der „bilateralen Idee“

Das Vorgehen des Bundesrats ist nur verständlich, wenn man sich immer und immer wieder vor Augen hält, dass er konsequent die Strategie verfolgt, der EU beizutreten. Diesen Beweis hat er nun einmal mehr durch seine Verhandlungstaktik bewiesen. Die EU kam auf uns zu und verlangte neue Verhandlungen („Bilaterale II“) bezüglich Zinsbesteuerung und Rechtshilfe („Betrugsdossier“). Nichts wäre nahe liegender gewesen, als dass der Bundesrat im Gegenzug gefordert hätte, dass uns die EU in denjenigen Punkten entgegen kommt, die für uns wichtig sind (Nordanflug auf den Flughafen Kloten, Eliminierung der Missstände beim Alpentransit, Garantie gegen Schikanen bei den Grenzkontrollen, keine Reexportzölle, etc).

Aber nichts von alledem. Skandalöserweise verlangte der Bundesrat als „Gegenleistung“ Schengen, obwohl er selbst noch 1999 geschrieben hatte, über Schengen könne nicht ein¬mal diskutiert werden, weil die Schweiz damit einen inakzeptablen Souveränitäts¬verlust in Kauf nehmen müsste (im Klartext: weil die direkte Demokratie abgebaut würde). Dieser Salto Mortale des Bundesrats bedeutet einen Verrat an all denjenigen, die sich vom bilateralen Weg eine Alternative zum EU-Beitritt versprochen haben. Der Bundesrat hat mir seinem Vorgehen ge¬zeigt, dass er mit den bilateralen Verträgen nicht die Probleme unseres Landes lösen will, sondern dass er die Bilateralen missbraucht, um uns in die EU zu führen. Als Krönung seiner Strategie versprach der Bundesrat der EU – auf Kosten der Steuerzahler – sogar noch eine Milliarde Franken, um die Personenfrei¬zügigkeit auf die 10 neuen EU-Staaten ausweiten zu dürfen!

Teil der bundesrätlichen Strategie ist auch die Drohung, die EU werde die Bilateralen I künden, wenn wir die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit ablehnen. Dies ist absurd: Die EU hat viel zu viel Interesse an den Bilateralen I, als dass sie diese je künden würde. Haben sie z.B. das Gefühl, dass unsere Nachbarländer eine Kündigung des Landverkehrsabkommens in Kauf nähmen, so dass sie noch mehr Lastwagenverkehr zu bewältigen hätten? Wohl kaum.

2 x Nein: Der Kurs des Bundesrates ist zu korrigieren!

Jetzt oder nie besteht die Möglichkeit, den Kurs des Bundesrats zu korrigieren. Ein doppeltes Nein ist von enormer Bedeutung: Schengen bringt die Abschaffung der Personenkontrollen an der Grenze, die Personenfreizügigkeit bringt die freie Einwanderung aus dem Osten. Eine Zustimmung hätte dramatische Folgen. Schengen ist das trojanische Pferd, welches uns in die EU führt. Die Ausweitung der Personenfreizügigkeit würde uns eine Nivellierung nach unten bringen – eine Armut, wie wir sie in der Schweiz nicht mehr für möglich gehalten hätten.

Ein wichtiges taktisches Element kommt dazu, weshalb die SVP unbedingt zweimal Nein sagen muss: Wie wollen wir unserer Bevölkerung beibringen, Nein zu Schengen und gleichzeitig Ja zur ungebremsten Einwanderung zu sagen? Wie wollen wir ein Nein zu Schengen erwirken, wenn wir gleichzeitig signalisieren, dass wir damit einverstanden sind, dass jedermann in die Schweiz ziehen und hier Wohnsitz nehmen kann? Bei welcher Partei sollen sich die vielen Bürger, die skeptisch gegenüber unkontrollierbarer Einwanderung sind, noch heimisch fühlen, wenn unsere Partei jetzt freie Zuwanderung aus den Oststaaten befürwortet?

Wir dürfen keine unkontrollierbare Zuwanderung von Menschen zulassen, die sich nicht anpassen wollen und die nicht wissen, was die Werte der direkten Demokratie Schweiz ausmachen. Die Entscheidung, wer einwandern darf und wer nicht, ist der wirksamste ökonomische Hebel, um den Wohlstand zu sichern. Wir dürfen uns diesen Hebel auf gar keinen Fall aus der Hand schlagen lassen.

Luzi Stamm
Luzi Stamm
Nationalrat Baden-Dättwil (AG)
 
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