Über Denk- und Sprachvorschriften im liberalen Rechtsstaat

Die Demokratie ist ein „Marktplatz der Ideen“ – so legte es der britische Philosoph John Stuart Mill überzeugend dar. Demokratie, Marktwirtschaft und die freie Meinung sind schicksalshaft miteinander verbunden; sie sind Pfeiler der freien Gesellschaft. Fällt ein Pfeiler, fällt die Freiheit. Darum geht es heute. Um nichts weniger.

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)

Der freie Austausch von Meinungen ist Kernstück jeder Demokratie. Unsere Bundesverfassung gibt jeder Person das Recht, „ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten“ (Art. 16 Abs. 2 BV). Die freie Demokratie geht vom mündigen Bürger aus, der selbständig in der Lage ist, sich ein Urteil über verschiedene Meinungen zu bilden und diese einzuordnen. Anders könnte eine Demokratie gar nicht funktionieren: Wer dem Bürger die Mündigkeit abspricht, wendet sich letztlich gegen die Demokratie.

Demokratie in Gefahr
„Demokratie in Gefahr“ – so titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am
vergangenen Samstag. Anlass zu diesem Titel waren Vorfälle an den Universitäten von Hamburg und Göttingen, wo nicht nur eine Vorlesung eines AfD-Mitglieds verhindert, sondern auch ein Vortrag des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner verboten worden war. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein engagierter Sozialdemokrat, kritisierte diese Vorfälle scharf.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, es sei „bezeichnend, aber offenbar
notwendig, dass nun auch der Bundespräsident daran erinnert hat, dass niemand schweigen muss, wenn ihm etwas nicht gefällt. Dass es aber nicht akzeptabel ist, Menschen mit einem anderen Weltbild zum Schweigen zu bringen. Der Staat muss
politischen Streit, das „Herzstück der Demokratie“, möglich machen. Er soll aber nichts vorgeben. Es sollte nämlich auf das Argument ankommen. (…) Man muss zuhören, reden, streiten.“ 

Intoleranz hat Hochkonjunktur
Für gewisse Studenten jedoch scheint ein anderes Motto im Vordergrund zu stehen: „Protestieren statt debattieren“. Faktum ist: Die Zahl der Menschen, welche sich in Meinungsfragen für unfehlbar halten, nimmt rasant zu. Über bestimmte Fragen darf gar nicht mehr diskutiert werden, weil die Wahrheit offensichtlich schon feststeht. Wer daran zweifelt, hat nicht eine andere Meinung, sondern ist ein Ketzer.

Solche Verhaltensmuster werfen uns zurück ins Mittelalter. Damals bewegte der Kampf gegen Häretiker das christliche Abendland. Ablasshandel, Hexenjagden und die gnadenlose Verfolgung von Ketzern – dies alles geschah im Kampf um den rechten Glauben. Absolute Wahrheitsansprüche, wie sie von Religionen verkündet werden, sind in einer Demokratie fehl am Platz. Menschen, welche sich in einer Diskussion schon nach dem ersten Reizwort brüsk abwenden, haben nicht begriffen, dass ein Austausch nur funktioniert, wenn verschiedene Sichtweisen und Meinungen erörtert werden. Oder um es mit John Stuart Mill zu sagen: „Jede Unterbindung einer Erörterung ist eine Anmassung von Unfehlbarkeit“.

Political correctness
Eine gefährliche Wohlstandserscheinung ist die sog. „political correctness“. Sie schafft den Boden dafür, dass missliebige Meinungsäusserungen eingeklagt werden können. Es soll nicht mehr jeder sagen können, was er denkt: Der demokratische Diskurs soll nur mit Ansichten, die sich innerhalb eines bestimmten Spektrums bewegen, geführt werden. Hierbei geht ein zentraler Punkt vergessen: Die Meinungsäusserungsfreiheit umfasst auch das Recht, falsche Ansichten zu vertreten oder gar Unsinn zu erzählen.

Unter dem gefährlichen Titel der „political correctness“ masst sich der Staat das Recht an, über richtig und falsch zu entscheiden. Diese Unterscheidung wird in der Gesetzgebung immer wichtiger. Unser alltägliches Verhalten soll durch staatliche Interventionen gesteuert werden:

  • Mit einer Flut von Vorschriften soll das Konsumverhalten der Bürger gesteuert werden. Heute diskutieren wir über Forderungen wie die Einführung einer
    Zuckersteuer, ein Verbot von Happy Hours oder ein Obligatorium für vegane
    Menus in Kantinen.
  • Mit Werbeverboten – z.B. für zuckerhaltige Getränke oder auch klimaschädliche Kurzstreckenflüge – soll das Entscheidungsverhalten der Bürger beeinflusst und gesteuert werden.
  • Mit Lenkungsabgaben soll die Bevölkerung in ihrem Alltagsverhalten „gelenkt“ werden: Gewisse Verhaltensweisen will der Staat fördern, andere unterbinden.
  • Auch die Transparenz-Diskussionen muss man vor diesem Hintergrund sehen: Der Staat will die totale Kontrolle über uns Bürger an sich reissen. Die Trans-parenz der Geldflüsse soll Aufschluss über unser Verhalten geben: Wo kaufen wir ein? Was kaufen wir ein? Welche geschäftlichen Aktivitäten betreiben wir? Wie viel Lohn beziehen wir? Wo richten wir eine Spende aus – allenfalls sogar an
    eine politische Organisation? Die Forderung nach einem Verbot von Bargeld ist die Krönung dieser unfreiheitlichen Aktivitäten.

Die Linken beschwichtigen: Es gehe ihnen nicht darum, Verbote zu schaffen. Vielmehr solle der Bürger mit klaren Regeln von schwierigen Entscheidungen „entlastet“ werden. So formulierte es jüngst die grüne Ständeratskandidatin im Kanton Zürich. Selbstverantwortung ist für diese Menschen ein Fremdwort; der Bürger wird als minderbemittelter Trottel angesehen, und nicht als mündiger Mensch. Die Aussichten sind wenig erfreulich: „Wer einmal die Vormundschaft für den Bürger übernommen hat, kann ihn an anderer Stelle ja nicht plötzlich seinem Schicksal überlassen“ .

Staatliche Lenkung der politischen Willensbildung?
Es gibt einen einzigen Ort, wo der Staat über richtig und falsch entscheiden soll: im Bereich des Strafrechts. Genau hier jedoch findet die Debatte in umgekehrter Form statt. Kuscheljustiz und Täterschutz haben Hochkonjunktur, Resozialisierung steht über allen anderen Forderungen. Jeder Anschein von Strafe soll vermieden werden. Hier
werden richtig und falsch plötzlich relativiert.

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)
 
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