Was sind aus unternehmerischer Sicht die Erfolgsfaktoren für die Schweiz?

Wieder ist ein Jahr vergangen. Und wieder hat unser politisches System ein Jahr lang reguliert. Vorschriften erlassen. Die Regulierungsdichte nimmt zu, der Einflussbereich des Staates wird immer grösser.

von Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident des weltweit grössten Stellenvermittlers Adecco und des Versicherungskonzerns Swiss Life

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Wieder ist ein Jahr vergangen. Und wieder hat unser politisches System ein Jahr lang reguliert. Vorschriften erlassen. Die Regulierungsdichte nimmt zu, der Einflussbereich des Staates wird immer grösser. Das Vertrauen in das private Unternehmertum und die Marktordnung hat gelitten. In der Öffentlichkeit und in der Politik sind die Diskussion und die Verständigung auf liberale Grundwerte schwieriger geworden. Der ordnungspolitische Kompass scheint abhanden gekommen. 43 % (42,6%) der gesamten Wertschöpfung werden heute staatlich umverteilt – über Steuern, Zwangsabgaben und Gebühren. Nur 57,4 % der Wertschöpfung verbleibt bei Privaten. Ein Drittel (33%) aller Beschäftigten arbeitet direkt beim Staat oder in einem staatlich beherrschten Unternehmen.

Es ist verständlich, dass als Folge der Finanz- und Schuldenkrise der Ruf nach mehr staatlicher Einflussnahme und nach Steuerung der Wirtschaft immer lauter geworden ist. Es ist heute aber zwingend, dass der Regulierungswut Grenzen gesetzt werden und der staatliche Fussabdruck schrittweise kleiner werden muss; Staatseingriffe in den Markt müssen sich wieder auf das notwendige Minimum beschränken. Subsidiarität und Primat des Wettbewerbs sind hier die ordnungspolitischen Schlüsselbegriffe.

Die bisherigen Erfolgsfaktoren unseres Landes sind schnell aufgezählt: Politische Stabilität, vergleichsweise gesunde Staatsfinanzen, wenig Arbeitslose, gute Infrastruktur, unser Bildungssystem, die liberale Wirtschaftsordnung, Innovationskraft, Sicherheit. All diese Faktoren sind das Resultat unseres föderalistischen, direkt-demokratischen Systems – und von Tugenden wie Fleiss, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Bescheidenheit und Weitsicht.

Als Wirtschaftsvertreter sprechen wir häufig von der „Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Schweiz“. Und vergessen dabei, dass die Unternehmen, ihre Mitarbeiter und wir selber Teil der Gesellschaft dieses Standortes sind. Und es die Gesellschaft ist, welche die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb setzt.

Angesichts der Entwicklung der globalen Arbeitsmärkte sehe ich heute für die Schweiz weniger wirtschaftliche als vor allem politische und gesellschaftliche Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Wie wir als Unternehmensführer und Staatsbürger mit diesen Herausforderungen umgehen, wird für die Zukunft der Schweiz entscheidend sein. Es geht heute um mehr als die blosse „wirtschaftliche Attraktivität eines Standortes“, – es geht um die Schweiz, unser Land. Damit ist für mich persönlich auch klar: Wenn es hart auf hart kommt, geht der Staatsbürger und Vater Dörig dem Wirtschaftsführer Dörig vor, kommt langfristiges Landesinteresse vor Wirtschaftsinteresse.

Was meine ich damit?

Im heutigen Umfeld sind es mehr denn je die langfristigen Entwicklungen, die wir im Auge behalten müssen. Denn es geht um unsere Zukunft. Um Wohlstand, Arbeitsplätze, soziale Sicherheit, eine intakte Umwelt. Um Arbeit und Ausbildung. Um Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Was wollen wir – für unser Land, für unsere Gesellschaft, für unsere Kinder?

Das vielzitierte Schweizer Erfolgsmodell – und damit auch volkswirtschaftlicher Erfolg – kann für unsere Kinder auf Dauer und in Zukunft nur auf einem soliden Fundament gedeihen: Und dieses Fundament heisst gesellschaftlicher Zusammenhalt. Dabei geht es im Kern immer um Arbeit, Ausbildung und Sicherung der Sozialsysteme.

Erlauben Sie mir zu diesem Fundament einige Ausführungen. Als Präsident des weltweit führenden Arbeitsvermittlers und eines Schweizer Lebensversicherers spreche ich nicht aus einem Elfenbeinturm heraus.

Arbeit ist das Bindeglied zwischen Ausbildung und Sicherung der Sozialsysteme. Arbeit prägt den Lebenszyklus eines jeden Menschen. In der Adoleszenz bauen wir Basis-Wissen auf. Im Herbst der Berufskarriere verfügen wir über Experten-Wissen. Dies, meine Damen und Herren, ist die individuelle Dimension von Arbeit.

Arbeit findet freilich nicht im luftleeren Raum statt, sondern im lokalen, regionalen, nationalen, supranationalen und globalen Kontext.

Im nationalen Zusammenhang ist Arbeit eine bildungspolitische Aufgabe und Voraussetzung für den Wohlstand einer Volkswirtschaft. Im supranationalen Raum führt Absenz von Arbeit zu Migration und Entvölkerung.

Im globalen Raum zu Konkurrenz um die Arbeit.

Arbeit ist somit eine eminent politische Aufgabe im Spannungsfeld zwischen Individuum und Staat und unabdingbare Voraussetzung für die Sicherung der Sozialsysteme wie auch des sozialen Friedens.

Dieses Spannungsfeld kann und darf sich nicht archaisch entwickeln. Es muss gelenkt sein durch Köpfe, die sich dieser eminent wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgabe verantwortungsbewusst annehmen.

Die Tugend der Selbstverantwortung

Wir leben in einer Zeit der Versicherungs- und Anspruchsmentalität, in der immer mehr Aufgaben an den Staat delegiert werden. Die aktuelle Überschuldung zahlreicher Nationen zeigt aber auch deutlich, dass der ausufernde Sozialstaat nicht mehr finanzierbar ist.

Deshalb möchte ich an eine altmodische Tugend erinnern: an die Selbstverantwortung. Für die eigene Ausbildung. Für den eigenen Arbeitsplatz. Für den Erhalt der persönlichen Arbeitsmarktfähigkeit. Davon hängt ab, ob eine Gleichung, die alles zusammenhält, noch Gültigkeit besitzt:

Sie lautet:
Ausbildung = Arbeit = finanzierbares Sozialsystem = Generationenvertrag

Wir erkennen auf einen Blick: Im Zentrum steht die Arbeit; und ohne Arbeit ist alles nichts.

Was aber bedeutet Arbeit?

Arbeit, so definiert es Brockhaus, ist „bewusstes, zielgerichtetes Handeln zum Zweck der Existenzsicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen; zugleich ist Arbeit ein wesentliches Moment der Daseinserfüllung“.

Und Albert Einstein sagte einst: „Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung“.

Sie sehen: der Staat kommt in diesen wohlgeformten Sätzen nicht vor!

In inzwischen von der Geschichte entsorgten kommunistischen Systemen war Arbeit eingebunden in einen totalitären ökonomischen Gesellschaftsentwurf: Arbeit, Produktion und die Volkswirtschaft als Ganzes waren Ziel eines zentralisierten Planungsprozesses. Dieses Modell hat sich als nicht überlebensfähig erwiesen.

Arbeit und Arbeitsplanung entziehen sich einer zentralen staatlichen Vormundschaft. Sie orientieren sich an den Bedürfnissen der Arbeitgeber, die sich idealerweise mit den persönlichen Neigungen und Talenten der Arbeitnehmer verbinden.

Arbeit, meine Damen und Herren, ist im nationalen Kontext ein Markt, der sich nach Angebot und Nachfrage richtet.

Nach Zeiten fortschreitender Arbeitszeitverkürzungen bis hin zur 35-Stunden-Woche, beobachten wir in Europa seit rund zehn Jahren wieder einen verstärkten Trend zur Ausweitung der Arbeitszeiten. Arbeit ist und bleibt also zentraler Bestandteil des Lebens der aktiven Bevölkerung.

Nirgends verbringt der im Arbeitsprozess Stehende mehr Zeit als in seinem Job. Dort erhält er im besten Fall persönliche Wertschätzung und Entfaltungsmöglichkeiten; dort findet ausserhalb der Familie auch der grössere Teil der sozialen Beziehungen statt.

Dies gilt erst recht im übertragenen Sinn. Die Sicherung der Sozialwerke hängt vom so gennannten Generationenvertrag ab: Die im Erwerbsalter stehende Bevölkerung sichert die Renten der beitragsbeziehenden Pensionäre. Die Jungen bezahlen die Renten der Alten – so lautete die Formel, seit es Rentensysteme gibt. Dies ist die Formel für den sozialen Frieden unter den Generationen.

Diese Balance zwischen Geben und Nehmen droht zu kippen. Gründe dafür gibt es viele: Die Lebenserwartung der Menschen in Mitteleuropa steigt im Schnitt um zehn Wochen pro Jahr. Die Alten werden also immer zahlreicher.

In Deutschland ist heute bereits jeder fünfte Mensch 65 Jahre oder älter, bis 2040 wird es fast jeder Dritte sein!

In der Schweiz liegt der sogenannte Altersquotient – das Verhältnis der Personen über 65 zu den 20-64jährigen – derzeit bei 28% und wird gemäss Prognosen bis ins Jahr 2060 auf 53% steigen. Numerisch bedeutet dies im Vergleich zu heute in etwa eine Verdoppelung der älteren Bevölkerung. Bereits heute ist die Zahl der Berufseinsteiger pro Jahr kleiner als die Zahl der Neu-Pensionäre.

Das Verhältnis zwischen Beitragszahler und Bezieher von Renten verschiebt sich dramatisch.

Arbeit ist ökonomisch gesehen die Nabelschnur zwischen der aktiven Arbeitsgeneration und der Rentengeneration – unter der Voraussetzung freilich, dass Arbeit auf dem Markt überhaupt in ausreichendem Mass vorhanden ist.

Was bedeutet die Absenz von Arbeit?

In der Realität Europas ist die Verfügbarkeit von Arbeit – als Folge der Finanz- und Schuldenkrise – ein systemisches Problem geworden. In Spanien sucht jeder Vierte einen Job. Unter den 25-34jährigen gar jeder Zweite! In Griechenland ist jeder Fünfte ohne Arbeit, in Italien jeder Achte und in Frankreich jeder Zehnte. Die Arbeitslosigkeit lässt den Kit des Generationenvertrages brüchig werden.

Arbeitslosigkeit setzt Menschen in Bewegung. Spanien, viertgrösste Volkswirtschaft der EU, leidet zunehmend unter Massenauswanderung. Junge, gut ausgebildete Spanier ohne berufliche Perspektive in der Heimat verlassen das Land.

Neben traditionellen Migrationsgründen wie Krieg, Armut oder zerstörte Lebensgrundlagen, wie wir das aus der Dritten Welt kennen, führt nun auch innerhalb Europas die Arbeitslosigkeit zunehmend zu Migration.

Wohin geht die Arbeit?

Mit dem Fall der Berliner Mauer, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Aufnahme Chinas in die WTO im Jahre 2001 und Russlands 2012, ist die Welt in eine neue Phase der Globalisierung eingetreten. Arbeit wandert ab aus Europa. Sie zieht ostwärts. In den asiatischen Raum. Sie ist gekennzeichnet durch die weitgehende Liberalisierung des Handels von Gütern und Dienstleistungen, der Finanzflüsse sowie insbesondere auch der Direktinvestitionen rund um den Globus.

Die Mobilität des Anlagekapitals verbunden mit der Liberalisierung des Handels führt seit der Jahrtausendwende zu einer verstärkten Verlagerung von produktiven Kapazitäten in aufstrebende Märkte.

Das heisst: Arbeit ist heute so mobil wie noch nie zuvor in der Geschichte.

Fast täglich erreichen uns Meldungen von Produktionsverlagerungen aus der Alten Welt, den USA oder aus Europa vorab in den asiatischen Raum oder zumindest nach Osteuropa. Gleichzeitig verschwinden in den Hochlohnländern industrielle Arbeitsplätze.

Eine Studie der HSBC „über die Welt im Jahr 2050“ kommt zum Schluss, dass die emerging markets von heute bis Mitte des Jahrhunderts um das 5-fache wachsen und dann gemeinsam grösser sein werden als die aktuellen Industrienationen der Ersten Welt. Und wo Wachstum stattfindet, gibt es auch Arbeit.

Sehr pessimistisch all dies, nicht?

Alles scheint sich gegen die alten Industrienationen verschworen zu haben. Demografie. Verschuldung. Die Abwanderung von Arbeitsplätzen. Der Verlust der gesicherten Jobs. Der Migrationsdruck.

Klingt nach der finalen Zeitenwende für Europa, wo einst die industrielle Revolution ihren Anfang genommen hatte. Es ist, als wäre die Lebenskraft aufgebraucht, als würde ein ganzer Kontinent buchstäblich in Pension gehen.

Ich hoffe, meine Damen und Herren, Sie hören den Konkjunktiv! Die Analyse des Ist-Zustandes ist zweifellos düster. Einem griechischen Drama gleich, das scheinbar unaufhaltsam der Apokalypse entgegentaumelt.

Wo liegen die Chancen für Europa und für die Schweiz im speziellen?

Die Klassik-Liebhaber unter Ihnen kennen das aus der Musik. Bevor das Orchester endgültig verstummt, gibt es das Allegro vivace. Das Grande Finale. Jedes Instrument holt noch einmal alles aus sich heraus. Mobilisiert die letzten Töne gegen ein unabänderlich scheinendes Schicksal. Und plötzlich ist Lebenskraft im Ensemble. Es ist, als wollte es nie mehr aufhören mit Spielen.

Heute werden Fabriken und Forschung, Operationen und Funktionen global verteilt und dort erledigt, wo Kosten, Qualifikationen und Standortqualitäten dafür optimal sind. Das ist, meine Damen und Herren, eine neue Form der Arbeitsorganisation; das global integrierte Unternehmen.

Im 19. Jahrhundert waren Unternehmen national, das Ausland diente als Absatzmarkt. Im 20. Jahrhundert kam das multinationale Unternehmen, das direkt in die Absatzmärkte ging und so Zugang zu den lokalen Märkten erhielt. Und heute also haben wir das global integrierte Unternehmen. In einer Welt, in der alles vernetzt und verbunden ist, Kapital, Menschen und Ideen grenzenlos zirkulieren, fliesst auch die Arbeit dorthin, wo sie optimal erledigt werden kann. Distanzen oder kulturelle Barrieren spielen hierbei kaum mehr eine Rolle.

Was aber bestimmt, wohin die Arbeit fliesst?

Die gute Nachricht ist: Es sind nicht nur die Kosten allein, die darüber bestimmen, wo die Arbeit der Zukunft stattfindet. Das Know-how, die Innovationskraft, bessere Lösungen zu finden als der Konkurrent sind mindestens ebenso wichtig. Europäische Tugenden seit sich in England einst die erste Textilmaschine in Bewegung gesetzt hatte.

Das ist der Schlüssel, damit bei uns die Musik nicht aufhört zu spielen. Wir müssen uns besinnen auf das, was die Menschen auf diesem Kontinent in den vergangenen 150 Jahren wohlhabend gemacht hat: Einfallsreichtum, Ingenieurskunst, Innovationskraft.

Im Zuge sich verändernder Arbeitsorganisationen und Anstellungsmethoden in den Unternehmen formt sich auch der Personalkörper neu aus. Unternehmen halten sich eine reduzierte Stammbelegschaft von Festangestellten. Für Spezialprojekte ziehen sie externe, oft selbständige Experten hinzu und heuern für Arbeitsspitzen flexible Arbeitskräfte an.

Arbeit individualisiert sich. Anstellungsformen individualisieren sich.

Hier liegen die Chancen für Europa. Seit der Aufklärung hat sich hier eine Gesellschaft geformt, die auf Individualität – und als Ausfluss davon – auf Demokratie gründet.

Was bedeutet das für das Individuum?

Der Arbeitnehmer muss sich in diesem Umfeld bewegen lernen. Der Arbeitgeber muss sich in diesem Kontext positionieren können. Die Führungskraft muss mit dieser Komplexität umgehen lernen. Sozialkompetenz, Werthaltung, Beherrschung von Soft Skills in der Führung sind zwingender denn je.

All diese Veränderungen, meine Damen und Herren, verändert auch das tradierte Verhältnis zwischen dem Arbeit-Geber und dem Arbeit-Nehmer. Es ist nicht mehr so klar, wer – vielleicht gönnerhaft – Arbeit gibt und wer – vielleicht notgedrungen – Arbeit nimmt.

Dies führt mich zurück auf meine eingangs erwähnte Gleichung: Ausbildung = Arbeit = finanzierbares Sozialsystem = Generationenvertrag.

TV-Bilder demonstrierender und verzweifelter Menschen – sei dies in Griechenland, Spanien, Italien oder Frankreich, zeigen uns eindrücklich, was geschehen kann, wenn die Jugend keine Perspektive, die Erwerbstätigen keine Arbeit und die Rentner keine Pension mehr haben.

Wenn nicht alles täuscht, ist in diesen Ländern das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen und wirtschaftlichen Eliten dahin. Dies, weil der gesellschaftliche Kit brüchig und für die Menschen diese simple Gleichung aus der Balance gekommen ist.

Wir brauchen einen neuen Solidarpakt.

Nicht nur die mittlere Generation muss Verantwortung übernehmen für die Finanzierung der Sozialsysteme, sondern in gewissem Masse ebenso die Einsteiger- wie auch die Aussteiger-Generation.

Die Einsteiger, weil sie sich wie noch keine Generation zuvor auf den globalen Arbeitsmarkt vorzubereiten und sich darauf zu bewegen haben. Die Aussteiger-Generation, weil sich der Übertritt in die Rente flexibilisiert, individualisiert und zeitlich immer später eintritt.

Eine funktionierende Wirtschaft ist zweifellos Grundvoraussetzung, dass dieser Generationenvertrag ökonomisch aufgehen kann. Dafür tragen wir Akteure in den Unternehmen ein grosses Mass an Verantwortung.

Richtig ist aber auch, dass Ausbildung, Sozialsysteme und damit auch der Generationenvertrag staatliche Aufgaben sind. Sie können nur innerhalb einer Volkswirtschaft in eine Balance gebracht und gehalten werden.

Staat und Wirtschaft, Politik und Unternehmen müssen dieses Bewusstsein im Umgang miteinander haben. Die Einsicht, dass die Verantwortung beider für einen funktionierenden Generationenvertrag unteilbar ist.

Und damit auch die Einsicht, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und prosperierende Wirtschaft keine Gegensätze sind, sondern auch dafür die Verantwortung unteilbar ist.

Was ist also mein Fazit für die Schweiz?
Lassen Sie mich mit wenigen Pinselstrichen umreissen, was ich damit meine:

Die Erfolgsfaktoren sind wohl unbestritten und auch schnell aufgezählt: Eigenständigkeit/Selbstbestimmung, direkte Demokratie, Subsidiarität/Föderalismus, Rechtssicherheit, liberale Wirtschaftsordnung, Bildung und Innovation, Infrastruktur.

Nationale Politik und globales Unternehmertum haben sich seit den 90er-Jahren zunehmend entfremdet. Bern als Zentrum helvetischer Politik und die Welt als Parkett für unternehmerisches Wirken bewegten sich auf unterschiedlichen Umlaufbahnen. Das ist gefährlich. Ich meine: Aus dem Tritt Geratenes muss wieder in den Gleichschritt rückgeführt werden. Auf Seiten der Wirtschaft. Auf Seiten der Politik.

Wir Unternehmer und Manager hierzulande müssen wissen, dass unser Geschäftsradius zwar die Welt zu sein hat; unsere Verantwortung für einen ausbalancierten Generationenvertrag aber auch in der Schweiz liegt.

Sie als Politiker sollten erkennen, dass Sie auch zur Wahrung von Partikularinteressen in die Parlamente gewählt werden; Ihre Verantwortung für einen ausbalancierten Generationenvertrag aber auch darin liegt, dass Sie das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Lassen Sie mich diese Symbiose von beiden Verantwortungen in fünf Punkten zusammenfassen:

  1. Sorgen wir gemeinsam für eine faire, gelenkte und kontrollierte Personenfreizügigkeit/Zuwanderung nicht nur mit den EU-Ländern, sondern mit der ganzen Welt. So bringen wir die Fachkräfte in unser Land, welche die Wirtschaft heute und morgen benötigt.
  2. Schliessen wir Freihandelsabkommen mit der Welt. Dies stützt unsere Exportindustrie und schafft neue Jobs.
  3. Tragen wir Sorge zu unserem dualen Ausbildungssystem. Es bedeutet Arbeit für unsere Jugend.
  4. Erhalten wir unseren flexiblen Arbeitsmarkt und unternehmerfreundliche Rahmenbedingungen. Dies hält die Arbeitslosigkeit tief.
  5. Ganz wichtig: Verknüpfen wir schliesslich die Bildungs-, Arbeitsmarkt-  und Migrationspolitik. Dies ist der beste Garant für die Sicherung des Generationenvertrages und der Sozialsysteme.

Gelingt dies, gäbe es eine zweite Lesart für die Symbolik auf unserer Landesflagge: Nicht nur als Schweizer Kreuz auf rotem Grund. Sondern auch als Plus für unser Land.

Erlauben Sie mir, anhand dieser 5 Punkte noch einige Bemerkungen zur aktuellen Diskussion um die Europapolitik.

Hier prallen die verschiedenen politischen Interessen – aber scheinbar auch Wirtschaftsinteressen und Gesellschaftsinteressen – in besonderem Masse aufeinander. Oder anders ausgedrückt: kurzfristig motivierte politische oder wirtschaftliche Interessen versus langfristiges Landesinteresse.

Ich wiederhole nochmals: Eigenständigkeit, direkte Demokratie, Subsidiarität/Föderalismus, Rechtssicherheit, liberale Wirtschaftsordnung, Bildung und Innovation.

Das sind die Erfolgsfaktoren, die Stärken der Schweiz – auch in Zukunft. Wir alle sollten sie gebetsmühlenartig wiederholen und verinnerlichen: als Maxime für unsere Entscheidungen und für unser Handeln.

Wenn wir gewillt sind, uns an diesen Grundprinzipien auszurichten und diese bei der Umsetzung der von mir erwähnten 5 Punkte anzuwenden, dann:

  • Kann ein Beitritt zur EU oder ein institutionelles Rahmenabkommen kein Thema sein;
  • Müssen wir eine Lösung für eine bedürfnisgerechte, kontrollierte Steuerung der Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt und unsere Sozialwerke finden;
  • Müssen wir unser duales Bildungssystem konsequenter auf die heute und künftig benötigten Qualifikationen ausrichten;
  • Müssen unsere Unternehmen das in der Schweiz verfügbare Arbeitskräftepotential (und das schliesst die hier ansässigen Ausländer selbstverständlich mit ein) besser nutzen und den Fachkräftenachwuchs intern weiterbilden (Stichworte: ältere Arbeitnehmer, Frauen, Inländervorrang).

Hierzu – und für die sicher heute und morgen folgenden Diskussionen – noch einige Gedankenanstösse, die m.E. allzu oft vergessen gehen – oder bewusst nicht erwähnt werden?

  • Die Schweiz ist nach wie vor eines der attraktivsten Länder der Welt. So attraktiv, dass viele aufspringen wollen. Das erklärt zumindest zum Teil die hohe Zuwanderung und auch die Begehrlichkeiten der EU.
  • Wir sind für die EU der zweitwichtigste Handelspartner und die EU ist wichtig für uns. Wir pflegen mit den EU-Staaten ein freundschaftliches Verhältnis; dabei sind wir nicht Bittsteller, sondern Vertragspartner. Wieso also sollen wir ohne Not unsere Standortvorteile preisgeben und alles übernehmen, was uns in der EU vorgelebt und reguliert wird? Das würde für uns eine Anpassung zum Schlechteren bedeuten.
  • Schweizer Aussenpolitik ist nicht Solidaritätspolitik, sondern primär Interessenpolitik.
  • Wir sind nicht Mitglied der EU. Und deshalb freier als ein Mitgliedstaat.
  • Brüssel ist nicht die EU. Das Beamten-Brüssel will den zentral geführten Bundesstaat und nicht den Staatenbund. Haben Sie schon einmal einen Deutschen oder Franzosen gefragt, was er sei, woher er komme, was sein Heimatland sei? Ich habe als Antwort noch nie „Europäer“ oder „Europa“ gehört….
  • Die Bilateralen mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen wurden 1999 mit einer EU abgeschlossen, die damals 15 westeuropäische Länder umfasste. Heute besteht die EU aus 28 Staaten und bald sind es noch mehr. Europa und die Welt haben sich weiterentwickelt, der Migrationsdruck hat für alle zugenommen. Die tatsächliche Ausgangslage heute ist für beide Seiten eine ganz andere, als sie bei Abschluss der Verträge war.
  • Und zum Schluss: Wie soll die EU uns als Verhandlungspartner ernst nehmen, wenn wir uns über unsere einzunehmenden Positionen nicht einig sind – und noch schlimmer – diese laufend ändern und uns öffentlich darüber streiten?

Dazu zwei Beispiele:

1) Im Brunetti-Bericht zur Finanzmarktstrategie entnehme ich: Die Schweiz sucht den Dialog mit der EU, um die Möglichkeit eines sektoriellen Finanzdienstleitungs-Abkommens (FDL-Abkommens) abzuklären. Eine solche Vereinbarung würde Schweizer Finanzdienstleistern den vollumfänglichen Zugang in den EU-Raum und damit Rechtssicherheit für das grenzüberschreitende Geschäft auf Dauer ermöglichen. Im Gegenzug würde von der Schweiz erwartet, dass sie den EU-Acquis übernimmt. Die Voraussetzung für den Abschluss eines solchen Abkommens wäre mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Einigung auf ein institutionelles Abkommen und aller Voraussicht nach auch eine Lösung der Fragen betreffend die Personenfreizügigkeit mit der EU. In der NZZ, die am folgenden Tag die Medienkonferenz kommentiert, lese ich, dass der Marktzugang für Banken und Versicherungen wichtig und entscheidend sei und Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf deshalb die Chance für ein FDL-Abkommen wenn möglich noch im 1. Quartal 2015 nutzen möchte….

Dazu habe ich zwei Bemerkungen:
Erstens: Zur Sache: Die Versicherungen haben den Marktzugang bereits und brauchen deshalb kein Finanzdienstleistungsabkommen. Klammerbemerkung: Die Grossbanken und Kantonalbanken übrigens auch nicht….
Und zweitens: Mit dem Argument Marktzugang wird Politik gemacht.

2) Zweites Beispiel:
Aussage: „Der Erhalt der Bilateralen ist für die Zukunft der Schweiz matchentscheidend. Sie sind wichtiger als die vom Volk mit zufälligem Mehr beschlossene Beschränkung der Zuwanderung.“

Ehrlicher wäre: Es ist schwer oder nicht einschätzbar, wie sich die Wirtschaft und Europa in den nächsten 15-20 Jahren entwickeln und was der Erhalt der Bilateralen oder deren Wegfall der Schweiz in den nächsten 10-20 Jahren an Wohlstand kosten oder zusätzlich bringen würde. Sicher ist wohl, dass eine Kündigung der Bilateralen für die Wirtschaft zusätzliche Unsicherheit bedeuten würde. Und Unsicherheit ist grundsätzlich schlecht. Aber ist es deshalb richtig, aus – einem nota bene nicht bezifferbaren – wirtschaftlichen Interesse die Bilateralen über den 9. Februar zu stellen? Nein, das ist es nicht. Legitim ist, wenn gewisse Kreise sagen: „Wir erachten die Bilateralen als so wichtig, dass wir für eine Abstimmung sorgen wollen.“ Aber nicht legitim ist, in Verhandlungen zu gehen und zu sagen: Die Bilateralen sind gegeben, und um sie zu retten, sind wir bereit, das Abstimmungsergebnis vom  9. Februar zu ignorieren. Das wäre die direkte Demokratie mit Füssen getreten.

Bilaterales Verhältnis mit der EU ja – aber nicht um jeden Preis!

Meine Damen und Herren,

aus Sicht der Wirtschaft – und auch aus meiner persönlichen Sicht als Bürger – hoffe ich, dass möglichst bald klare politische Mehrheiten gebildet und eine klare Marschrichtung eingeschlagen werden kann. Um dafür abschliessend ein Bild zu verwenden:

Die Parteienlandschaft und auch der Bundesrat kommt mir heute vor, wie wenn verschiedene Nationalstrassen – und manchmal auch Feldwege – befahren werden, die nun im Wahljahr 2015 alle in einen Autobahnzubringer münden, der nur die Wahl lässt, auf eine Autobahn nach links oder eine andere nach rechts abzuzweigen. Persönlich wünschte ich mir, dass es gelingt, Ende Jahr eine Mehrheit der Autos auf der rechten Autobahn zu haben. Wer dabei auf welcher Spur fährt, und wer wen überholt, spielt keine Rolle.

Dafür aber braucht es einen Schulterschluss zwischen FDP und SVP – auch mit Listenverbindungen bei den kommenden Wahlen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 
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