Referat

Die vier Grundsätze gemäss der Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“

Die Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ will sicherstellen, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger und die Kantone weiterhin die oberste rechtsetzende Gewalt im Land sind.

Die Initiative will also den Vorrang der Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht sicherstellen. Sie stellt hierfür die folgenden vier Regeln auf:

1.      Im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 5 Abs. 1 der geltenden Bundesverfassung) wird festgehalten, dass die Bundesverfassung die oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Volksinitiative).

2.      Im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur „Beachtung“ des Völkerrechts (Art. 5 Abs. 4 der geltenden Bundesverfassung) wird festgehalten, dass die Bundesverfassung über dem Völkerrecht steht und ihm vorgeht (Art. 5 Abs. 4 Satz 2 der Volksinitiative). Das ist eine Kollisionsregel: Nur wenn ein Widerspruch zwischen der Verfassung und dem Völkerrecht besteht – was insgesamt selten der Fall ist –, kommt der Vorrang der Bundesverfassung zum Tragen. Wenn kein Widerspruch besteht, sind die völkerrechtlichen Bestimmungen, die für die Schweiz gelten, selbstverständlich anzuwenden.

Der Vorrang der Bundesverfassung gilt nicht mit Bezug auf das zwingende Völkerrecht. Zum zwingenden Völkerrecht gehören: das Folterverbot, das Verbot von Völkermord, das Gewaltverbot, die Gleichheit der Staaten, gewisse Normen des humanitären Völkerrechts sowie das Verbot, Asylsuchende in ein Land auszuweisen, in dem ihnen aus bestimmten Gründen Verfolgung droht. Den Vorbehalt des zwingenden Völkerrechts, der bereits heute als Schranke von Volksinitiativen in der Verfassung steht (Art. 139 Abs. 3 BV), bestätigt die Initiative gleich zweimal. Die Initianten verzichten aber – anders als noch in früheren Entwürfen des Initiativtextes – auf eine Umschreibung des zwingenden Völkerrechts. Dies geschieht in der eindeutigen Erwartung, dass dieser Begriff nicht immer weiter ausgedehnt und dadurch das Initiativrecht eingeschränkt wird.

3.      Die Schweiz darf keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen, die der Bundesverfassung widersprechen. Besteht dennoch ein Widerspruch, muss dieser beseitigt werden, das heisst, der betreffende völkerrechtliche Vertrag muss neu ausgehandelt oder es muss ein Vorbehalt angebracht werden. Ist das nicht möglich, muss der Vertrag gekündigt werden. Diese Regelung (Art. 56a der Volksinitiative) erscheint als eine Selbstverständlichkeit, sie ist aber dennoch in der Verfassung festzuschreiben, um allfällige Zweifel auszuräumen.

4.      Widerspricht ein völkerrechtlicher Vertrag, der nicht dem Referendum unterstanden hat, der Bundesverfassung, dann dürfen ihn die Gerichte und Behörden nicht anwenden (Art. 190 BV, in der Fassung der Volksinitiative). Anzuwenden ist verfassungswidriges Völkerrecht nur, wenn der betreffende völkerrechtliche Vertrag das gleiche Verfahren wie ein Gesetz oder die Verfassung durchlaufen hat, also wenn er dem Referendum (dem fakultativen oder dem obligatorischen) unterstanden hat.

Das bedeutet namentlich, dass die Gerichte und die Behörden sich nicht mehr unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) weigern können, die Bundesverfassung anzuwenden. Die EMRK gilt nach wie vor in der Schweiz, aber im Fall eines Widerspruchs mit der Bundesverfassung ist die Verfassung anzuwenden, nicht die EMRK.

Die bewährte Ordnung in der Verfassung festschreiben, die heimliche Umkehr der Ordnung rückgängig machen

Die Initianten halten daran fest, dass mit der Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ in der Verfassung festgeschrieben werden soll, was noch bis vor wenigen Jahren als selbstverständlich galt, nämlich, dass die Bundesverfassung dem nicht zwingenden Völkerrecht vorgeht. So ist in den Auflagen der 1980er-Jahre des führenden Schweizer Staatsrechtslehrbuches von Ulrich Häfelin und Walter Haller zu lesen: „Die Bundesverfassung […] steht in der Normenhierarchie auf einer höheren Stufe als die Staatsverträge. Ihr gebührt der Vorrang gegenüber den Staatsverträgen.“

Umso erstaunlicher ist die harsche Kritik, die die Initiative ausgelöst hat. Die Kritik ist jedoch unberechtigt. Insbesondere richtet sich die Initiative weder gegen das Völkerrecht noch gegen die Menschenrechte.

Nicht gegen das Völkerrecht, aber gegen die unkontrollierte Herrschaft von Beamten und Richtern in internationalen Organisationen und Gerichten

Die Volksinitiative richtet sich nicht gegen das Völkerrecht, und sie schliesst den Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch die Schweiz nicht aus. Die Bedeutung solcher Verträge für die Schweiz ist unbestritten. Die Initiative richtet sich aber gegen den immer grösseren Einfluss von internationalen Organisationen und Gerichten, wie zum Beispiel der UNO, der OECD, der EU, des Europarates oder des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Strassburg. In diesen Organisationen und Gerichten schaffen Beamte und Richter für alle Lebensbereiche immer mehr neue Regelungen, Richtlinien, Empfehlungen und Urteile, die die Staaten anschliessend umsetzen müssen. Die meisten dieser Beamten und Richter müssen sich keiner demokratischen Wahl und Wiederwahl stellen. Sie sind nicht im öffentlichen Leben der Staaten verankert, für die sie die neuen Regeln aufstellen. Und sie tragen keine Verantwortung für die finanziellen Lasten, die sie den Staaten und letztlich den Bürgern aufbürden. Man kann diese Kaste von Beamten und Richtern in internationalen Organisationen und Gerichten mit Fug und Recht als „fremde Richter“ bezeichnen. Sie operieren weitgehend in einer eigenen Welt und treiben die Globalisierung des Rechts fast unkontrolliert voran.

Wenn nun, wie das neuerdings vertreten wird, alles Völkerrecht über unserer Verfassung steht, heisst das, dass eine Handvoll von Beamten und Richtern in internationalen Organisationen und Gerichten in der Schweiz mehr zu sagen haben als 5 Millionen stimmberechtigte Schweizerinnen und Schweizer. Damit wird die Demokratie ausgehöhlt, die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger bestehen nur noch auf dem Papier. Sie können zwar noch abstimmen, aber wenn die Beamten und Richter in den internationalen Organisationen und Gerichten etwas anderes beschliessen, ist das Ergebnis der Volksabstimmung bedeutungslos. Darum heisst die Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“.

Nicht gegen die Menschenrechte, aber auch über die Menschenrechte muss politisch verhandelt werden

Die Volksinitiative richtet sich auch nicht gegen die Menschenrechte. Unsere Verfassung schützt die Menschenrechte und alle anderen heute in der westlichen Welt anerkannten Grundrechte in einem umfassenden Katalog von Grundrechten (Art. 7-34 BV). Diese Grundrechte werden durch die Gerichte und Behörden dieses Landes und durch das Parlament durchgesetzt. Sie sind fest in unserer Rechtsordnung verankert.

Im Übrigen muss aber auch über die Menschenrechte – über das, was sie in einem bestimmten Zusammenhang, in einem bestimmten Einzelfall bedeuten – eine offene Diskussion möglich sein. Man darf, nein: man muss gewisse Tendenzen des internationalen Menschenrechtsschutzes in Frage stellen. Dies aus drei Gründen:

Erstens wird heute unter dem Stichwort „Menschenrechte“ jede gesellschaftliche und politische Frage abgehandelt. Der Begriff der Menschenrechte ist beliebig geworden. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus der EMRK, vor allem aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8), Ansprüche abgeleitet, die weit über das hinausgehen, was anerkannt war, als die Schweiz die EMRK 1974 ratifizierte. „Menschenrechtliche“ Fragen im Sinne der EMRK sind heute etwa: die Regelung der Suizidhilfe; die Verjährung von Schadenersatzklagen von Asbestopfern; die Voraussetzungen, unter denen eine Krankenkasse die Kosten einer Geschlechtsumwandlung tragen muss; die Voraussetzungen, unter denen jemand Militärpflichtersatz leisten muss; die Einpflanzung von in vitro befruchteten Eizellen; Umweltschutz (unter anderem Anspruch auf staatlichen Schutz vor Lärm- und anderen Emissionen [Stichwort: Fluglärm]); die Regelung des Familiennamens der Eheleute; der Datenschutz; Fragen der Staatsangehörigkeit; Berufsverbote; das Wohnen in Wohnwagen; der Familiennachzug, wobei „Familie“ fast jede Form eines Zusammenlebens zweier Menschen umfasst; das Erbrecht im Verhältnis zwischen nahen Verwandten; die Auslegung eines Testaments; die steuerliche Abzugsfähigkeit von Unterhaltszahlungen; die Feuerwehrdienstpflicht von Männern bzw. Frauen; usw. All dies sind in Wirklichkeit entweder politische Fragen, die entsprechend unserem Gesetzgebungsverfahren zu entscheiden sind, oder es sind Fragen, die im konkreten Einzelfall ein Gericht entscheiden soll – jedoch ein schweizerisches Gericht nach den Gesetzen, die in der Schweiz gelten.

Zweitens geht es bei den Menschenrechten immer darum, das Recht des einen gegenüber den Rechten der anderen abzuwägen. „Keine Rechte ohne Pflichten“ gilt auch für die Menschenrechte: Es müssen immer auch die Menschen- oder Grundrechte der anderen beachtet und es muss auf die Interessen der Allgemeinheit Rücksicht genommen werden. Das hat jüngst das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betreffend den verdeckten Einsatz von Videokameras in Kundengesprächen mit Versicherungsvertretern durch Mitarbeiter des „Kassensturzes“ gezeigt. Wie sind die Medien- und Meinungsfreiheit der Journalisten und der Schutz der Privatsphäre des Versicherungsvertreters gegeneinander abzuwägen? Dazu kann man in guten Treuen unterschiedliche Auffassungen haben. Entscheidend ist, dass es hier um eine politische Frage und eine Frage der Gesetzgebung geht. Solche Fragen sind nach unserem politischen System und unserer Verfassungsordnung durch den Gesetzgeber zu beantworten und allenfalls durch Volk und Stände, nicht durch ein Gericht. Schon gar nicht einzusehen ist, weshalb diese Fragen ein ausländisches Gericht beantworten soll.

Drittens ist eine kritische Beobachtung des internationalen Menschenrechtsschutzes deshalb wichtig, weil der internationale Menschenrechtsschutz heute eine treibende Kraft des Sozialstaates in den einzelnen Staaten ist, mit einer teilweise wirtschaftsfeindlichen Ausrichtung. Unter „Menschenrechten“ werden längst nicht mehr nur die Freiheitsrechte verstanden, also die Abwehrrechte gegenüber dem Staat, die eine freiheitliche Rechts- und Staatsordnung gewährleisten. Der internationale Menschenrechtsschutz räumt vielmehr den Individuen immer mehr Ansprüche gegenüber dem Staat ein: Recht auf unentgeltlichen Hochschulunterricht, Recht auf medizinische Versorgung, Recht auf Familiennachzug, Recht auf Sozialhilfe, Recht auf Wohnung, Recht auf Nahrung, Recht auf Arbeit usw. Um die Finanzierung des Sozialstaates in den einzelnen Staaten brauchen sich die Beamten und Richter in den internationalen Organisationen und Gerichten nicht zu kümmern. Über den Ausbau des Sozialstaates muss eine gesellschaftliche und politische Diskussion möglich sein. Für die Schweiz heisst das, dass das Parlament und allenfalls das Volk und die Kantone über den „menschenrechtlich“ begründeten Sozialstaat entscheiden können müssen.

Erfolgsmodell Schweiz dank der direkten Demokratie

Die Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ will sicherstellen, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger und die Kantone weiterhin die oberste rechtsetzende Gewalt im Land sind. Die Schweiz ist mit dieser Ordnung sehr gut gefahren. Unsere freiheitliche Ordnung, unser Wohlstand, unser Sozialstaat, unser weltweit vorbildlicher Umgang mit Minderheiten – all das ist in unserem demokratischen Staatsystem entstanden und nicht durch eine Anbindung an internationale Organisationen und Gerichte.

 
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