„Wir wollen, dass das Volk entscheidet“

Interview mit Christoph Blocher

Klartext: Was möchten Sie mit einer Volksinitiative zur Umsetzung von Volksentscheiden erreichen?

Christoph Blocher: Eine Klärung des Verhältnisses zwischen Bundesverfassung und Völkerrecht herbeiführen. Von 1848 bis weit in die 1990er-Jahre gab es kaum Zweifel, dass die Bundesverfassung den Staatsverträgen bzw. dem Völkerrecht vorgehe. Dieser Konsens wird heute von Politikern, Professoren und Richtern in Frage gestellt. Vor zwei Jahren befand das Bundesgericht in einem Urteil, dass das Völkerrecht dem Landesrecht generell vorgehe. Die Einführung dieses Grundsatzes ist ungeheuerlich. Wir wollen, dass das Volk die Gelegenheit erhält, diese Frage zu entscheiden.

Angesehene Juristen sagen, der Vorrang des Landesrechts sei bereits in unserer Verfassung festgehalten. Warum braucht es noch eine Initiative?

Die Juristen sagen Widersprüchliches. In die Ende der neunziger Jahre totalrevidierte Bundesverfassung wurde die vom Rechtsprofessor Walter Kälin vorgeschlagene Formulierung „Völkerrecht bricht Landesrecht" bewusst nicht aufgenommen. Es sei, stand in der Botschaft des Bundesrats, „bewusst darauf verzichtet worden, die Streitfragen betreffend das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht im Rahmen der Nachführung zu klären". Artikel 5 Absatz 4 der Bundesverfassung spricht lediglich davon, dass das Völkerrecht zu „beachten" sei. Auf der andern Seite gibt es das oben erwähnte Bundesgerichtsurteil und eine entsprechende Praxis der Rechtsauslegung, wie die Nichtbefolgung der Ausschaffungsinitiative und scheinbar auch der Masseneinwanderungsinitiative zeigen. Wir müssen die Frage vom Volk klären lassen, weil es sonst die Gerichte und die Verwaltung ohne das Volk machen.

Warum ist sich die SVP so sicher, dass ihre Position richtig ist?

Von 1848 bis weit in die 1990er-Jahre gab es kaum Zweifel, dass die Bundesverfassung den Staatsverträgen bzw. dem Völkerrecht vorgehe. Die Rechtswissenschaftler Ulrich Häfelin und Walter Haller äusserten sich in den 1980er-Jahren in aller Deutlichkeit: „Die Bundesverfassung, einschliesslich die ungeschriebenen Freiheitsrechte, steht in der Normenhierarchie auf einer höheren Stufe als die Staatsverträge. Ihr gebührt der Vorrang gegenüber den Staatsverträgen." Es kann also keine Rede davon sein, dass die SVP mit ihrem Initiativtext, „Extremistisches" oder „Brandgefährliches" verlangt, wie unsere Gegner behaupten. Der Vorrang der Bundesverfassung war vielmehr bis vor wenigen Jahren für Gelehrte, Richter, Politiker und Volk eine Selbstverständlichkeit.

Was hat das mit der Umsetzung von Volksentscheiden zu tun?

Hinter diesen Grundsätzen steht die Überzeugung, dass das Volk und damit die Menschen, die von den Entscheiden betroffen sind, der beste Entscheidungsträger im Staat sind. Das Volk ist nicht unfehlbar, aber es entscheidet mit Augenmass, sachbezogen und oft weitsichtiger als Politiker. Das wusste der Staatsrechtler Zaccaria Giacometti, als er schrieb, die Demokratie sei die beste Hüterin der Menschenrechte. Die Ansicht, dass über Volk und Ständen niemand steht, war bis vor kurzem unbestritten. Es ist nicht die SVP, welche die Rechtsordnung in der Schweiz umstürzen will. Im Gegenteil: Sie will die heimliche Umkehr, den leisen Umsturz der Rangordnung zwischen Verfassung und Völkerrecht rückgängig machen.

Kritiker sagen, die Initiative zerstöre die humanitäre Tradition der Schweiz.

Die humanitäre Haltung ist bei uns Schweizern tief verankert! Darauf dürfen wir stolz sein. Unsere Bundesverfassung garantiert die Menschenrechte. Auch bei Annahme unserer Initiative bleibt das zwingende Völkerrecht der Verfassung übergeordnet; im Initiativtext wird dies ausdrücklich gesagt. Immerhin: Auch über den konkreten Inhalt der Menschenrechte muss ohne Scheuklappen öffentlich diskutiert werden können. Unter Hinweis auf die Menschenrechte kann nämlich fast alles begründet werden. Dass der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betriebene Menschenrechtsschutz einige seltsame Blüten getrieben hat, anerkennen sogar unsere Gegner.

Warum greift man die SVP dann so heftig an?

Hat es je eine Initiative der SVP gegeben, für die man diese nicht angegriffen hat? Wir beobachten heute eine Tendenz, dass Richter das geltende Recht nach Gutdünken in Richtung Schwächung des Landesrechts und Stärkung des internationalen Rechts weiter entwickeln. Dies bestätigen beispielsweise der ehemalige Bundesrichter und SP-Mitglied Martin Schubarth oder der ehemalige Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der Schweizer Luzius Wildhaber. Es ist nur möglich, weil die Verwaltung, die Regierung und sogar Parlamentarier dies dulden oder gar gutheissen. Es sind die gleichen Leute, welche die Schweiz schleichend in die EU führen wollen. Dieser Entwicklung müssen wir einen Riegel schieben.

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