EU-Rahmenvertrag als verkehrspolitisches Risiko

Die Geheimniskrämerei um das neue EU-Rahmenabkommen provoziert Stirnrunzeln. Die Vernehmlassung wird im Juni eröffnet. Die Verträge haben es in sich: Ob die verkehrspolitischen Regelungen, die derzeit in der Schweiz gelten, auch künftig Bestand haben, steht in den Sternen. 

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)

Die offizielle Sprachregelung aus Bundesbern tönt freundlich: Die Schweiz bleibe in Bezug auf die Übernahme fremden Rechts frei, für Ausnahmesituationen gebe es sogar eine Schutzklausel. Liest man das «common understanding», das Basisdokument für die Verhandlungen, tönt es anders: Dort ist von einer «Verpflichtung zur dynamischen Rechtsübernahme» und von einer «einheitlichen Auslegung und Anwendung» der Rechtsakte die Rede. Wobei hier der Europäische Gerichtshof abschliessend urteilt.

Massive Auswirkungen im Verkehrsbereich

Ein Bereich, der direkt betroffen sein wird, ist der Verkehrsbereich – sowohl Schiene wie auch Strasse. Während die EU darüber nachdenkt, den internationalen Schienenverkehr über den nationalen Fahrplan zu stellen, gilt in der Schweiz das Gegenteil: Bei uns hat der nationale Taktverkehr Priorität.

Eine Umkehrung dieses Prinzips hätte fatale Folgen. Da in der Schweiz alle Trassen belegt sind, würde eine Liberalisierung und Priorisierung im Bereich des internationalen Bahnverkehrs dazu führen, dass regionale Verbindungen wegfallen würden: Damit ein zusätzlicher Zug durchfahren kann, muss ein anderer Zug gestrichen werden. Dass diese Befürchtungen berechtigt sind, zeigen Unterlagen des Bundes, nach welchen die Schweiz auch im Bereich Landverkehr «Entwicklungen des EU-Rechts in Zukunft dynamisch übernehmen» soll.

Im Bahnbereich würden bewährte Mechanismen in Frage gestellt. So hielt der Bundesrat betreffend Güterverkehr wiederholt fest, dass gewisse Dienstleistungen zwar für die sichere Versorgung aller Landesteile sehr wichtig, aber ohne Subventionen nicht überlebensfähig seien. Die Beihilferegeln der EU stellen Subventionen generell in Frage. Bundesrat oder Parlament könnten künftig wohl nicht mehr frei entscheiden – eine empfindliche Kompetenzeinschränkung für die Behörden.

Gigaliner auf Schweizer Strassen?

Genau diese Befürchtungen plagen auch den Kanton Genf, der eine Standesinitiative lancierte. Die Genfer befürchten, Gigaliner könnten bald auf Schweizer Strassen rollen: «Trotz des breiten politischen Widerstands gegen Gigaliner könnte sich die Schweiz gezwungen sehen, ihre Längen- und Gewichtsbeschränkungen für Fahrzeugkombinationen des schweren Gütertransports ebenfalls anzupassen und Gigaliner ganz oder teilweise auch in der Schweiz zuzulassen», schreibt der Kanton Genf. Die derzeitige Regelung im Strassenverkehrsgesetz sei in Gefahr: «Morgen schon könnte eine europafreundliche Ausrichtung von Bundesrat und Verwaltung eine dynamische Übernahme von EU-Recht zur Folge haben und die Schweiz dazu zwingen, sich vollständig der EU zu unterwerfen, ohne Rücksicht auf unsere Bundesverfassung und unsere demokratischen Rechte».

Diesen Worten vom Lac Léman ist nichts hinzuzufügen. Eine Demokratie darf sich nie und nimmer einer «dynamischen Rechtsübernahme» unterwerfen. Wenn es schon der Kanton Genf gemerkt hat – wann klärt sich der Nebel in Bundesbern?

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)
 
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