Die Schweiz steht an einem verkehrspolitischen Scheideweg. Mit dem neuen Landesverkehrsabkommen will der Bundesrat den Bahnmarkt schrittweise für ausländische Unternehmen öffnen. Das klingt harmlos – ist es aber nicht. Denn diese Öffnung greift tief in das Herz unseres öffentlichen Verkehrs ein.
Ein gefährlicher Dammbruch
Zukünftig sollen Bahnunternehmen aus der EU auch innerhalb der Schweiz Personen befördern dürfen – also nicht nur durch unser Land, sondern von Schweizer Bahnhof zu Schweizer Bahnhof. Offiziell heisst es, die Schweiz bleibe Herrin über ihre Schienen. Doch der entscheidende Punkt ist: Das Abkommen und das dynamisch übernommene EU-Recht entfalten ihre volle Wirkung erst nach der nächsten Konzession der SBB. Dann wird sich zeigen, was diese Verträge wirklich bedeuten. Denn parallel dazu entstehen im Rahmen des Programms «Verkehr 2045» neue Kapazitäten auf dem Schienennetz – zusätzliche Trassen, finanziert mit Milliarden aus der öffentlichen Hand. Und genau diese Trassen werden künftig auch für ausländische Anbieter geöffnet. Wir bezahlen also den Ausbau – und öffnen danach die Türen für die Konkurrenz.
Was bedeutet das konkret?
Unternehmen wie Flixtrain stehen schon in den Startlöchern. Ihre grellgrünen Züge fahren dorthin, wo es sich lohnt – auf den rentablen Strecken zwischen Zürich, Genf oder Lugano. Aber wer fährt dann noch ins Goms, ins Toggenburg, ins Prättigau oder in den Jura? Das ist Rosinenpickerei mit System – auf Kosten der Randregionen und des Service public.
Qualität und Pünktlichkeit – unser Schweizer Markenzeichen
Unser Bahnnetz funktioniert, weil es präzise getaktet ist – wie ein Schweizer Uhrwerk. Doch schon heute sehen wir, was passiert, wenn ausländische Anbieter auf unseren Schienen fahren. Der Zug von Schaffhausen nach Zürich, betrieben von der Deutschen Bahn, hat eine Pünktlichkeitsquote von rund 75 Prozent. Bei der SBB sind es über 92 Prozent. Diese Differenz mag klein wirken – doch in einem fein abgestimmten System wie unserem integralen Taktfahrplan hat sie gravierende Folgen. Ein verspäteter Zug genügt, und der ganze Fahrplan gerät ins Wanken. Wenn künftig mehrere Betreiber mit eigenen Buchungssystemen, unterschiedlichen Standards und ausländischen Prioritäten unterwegs sind, dann verlieren wir den Takt. Und ohne Takt – verliert die Schweiz ihr Bahnversprechen.
Der Taktfahrplan ist mehr als Logistik
Er ist das Symbol einer Idee: Dass jede Region, jede Gemeinde, jede Stunde gleich viel wert ist. Dass Verbindungen nicht nach Profit, sondern nach Bedarf geschaffen werden. Wenn nun Trassen vorrangig an ausländische Anbieter vergeben werden – und Streitfälle vor den Europäischen Gerichtshof gehen können – dann geben wir nicht nur Fahrrechte ab, sondern auch ein Stück unserer Souveränität und Identität.
Schlusswort
Die Schweiz hat eines der besten Bahnnetze der Welt. Weil wir auf Qualität statt Quantität setzen. Weil wir planen, statt um jeden Preis zu liberalisieren. Und weil wir den Takt unseres Landes selbst bestimmen. Diesen Takt dürfen wir nicht aus der Hand geben – nicht für kurzfristigen Wettbewerb, nicht für falsche Versprechungen.
Der Taktfahrplan ist unser Stolz – und er verdient Schutz, nicht Marktöffnung.
Denn wenn wir ihn verlieren, verlieren wir mehr als nur ein paar Minuten Verspätung.
Wir verlieren ein Stück Schweiz.