Volkswahl heisst Volkswohl

Wohl noch nie in der Geschichte war das Ansehen des Bundesrates bei der Bevölkerung so gering wie heute. Schuld daran ist nicht nur das Bundesratsgremium mit zahlreichen schwachen, ja ungeeignetené…

Christoph Mörgeli
Christoph Mörgeli
Nationalrat Stäfa (ZH)

Wohl noch nie in der Geschichte war das Ansehen des Bundesrates bei der Bevölkerung so gering wie heute. Schuld daran ist nicht nur das Bundesratsgremium mit zahlreichen schwachen, ja ungeeigneten Magistraten, die sich trotz ungenügenden Leistungen so lange wie möglich an ihr Amt klammern. Schuld daran ist ebenso ein politisches System, dass solche Personen an die Spitze unseres Landes trägt und immer wieder bestätigt.

Parlamentswahlen zunehmend unappetitlich
Die Parlamentswahl des Bundesrates ist zu einem unernsten Spiel von Machttrieb, Hintertreppenintrigen und Geheimabsprachen verkommen. Die Folge davon waren in jüngster Vergangenheit unwürdige Zufallsentscheide mit einer einzigen Stimme Differenz und die Beinahewahl von Nichtnominierten, die zuvor ihren Verzicht erklärt hatten. Ein offiziell von seiner Partei nominierter Kandidat erhielten beim Wahlgang null Stimmen, nicht einmal eine einzige seiner eigenen Fraktion. Es kam zur Abwahl der anerkannt Tüchtigsten und Spitzenergebnissen von offensichtlichen Versagern. Bundesratswahlen wurden missbraucht, um die Wunschkandidaten der politischen Gegner aus dem Amt zu werfen und stattdessen eine der eigenen Partei nicht genehme, aber zu solchen Manövern bereite Kandidatin zu installieren, obwohl das Parlament diese kaum dem Namen nach kannte. Anschliessendes Triumphgeschrei und Jubelposen der siegreichen Abwähler machten der sich ekelnden Bevölkerung die Parlamentswahl zusätzlich verachtenswert.

Missachtung des Volkswillens
Der Volkswille bei Parlamentwahlen schlägt nicht mehr auf die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates durch. In der Bundesversammlung ignorierte 2007 eine Koalition von Machtverliebten das Resultat der unmittelbar davor liegenden eidgenössischen Wahlen. Es kam zu Racheakten der vereinigten Wahlverlierer an den Wahlsiegern und damit demokratiepolitisch zu höchst fragwürdigen Manövern, die der Bevölkerung die politische Mitbestimmung verleiden und die Stimm- und Wahlabstinenz fördern. Solche Macht-, Ränke- und Zufallsspiele haben mit Demokratie und Transparenz wenig zu tun. Auch 2009 wird unter den Parlamentariern erneut versucht, mittels Winkelzügen und Geheimvereinbarungen die Konkordanz auszutricksen. Alle diese unappetitlichen Vorgänge können durch Einführung der Volkswahl des Bundesrates ein für allemal verhindert werden. Die Landesregierung wäre künftig durch den tatsächlichen Volkswillen legitimiert, aber auch verpflichtet. Dies wird dazu führen, dass unsere Regierung wieder vermehrt das Interesse des Landes statt jenes der eigenen Person und der internationalen Classe politique in den Vordergrund stellt. Der Bundesrat wird endlich wieder für die Schweiz einstehen. Umgekehrt hat das Wahlvolk künftig keine Ausrede mehr, sich seiner Verantwortung mit dem bekannten Spruch zu entziehen: „Die da oben tun sowieso, was sie wollen.“

Problemlose Volkswahl in den Kantonen
Sämtliche Gründe, die von den Gegnern der Volkswahl des Bundesrates ins Feld geführt werden, wurden seinerzeit schon bei Einführung der Volkswahl der Kantonsregierungen geäussert. Sie haben sich allesamt als unbegründet erwiesen. In keinem einzigen der 26 Schweizer Kantone ist gegenwärtig eine Stimme zu vernehmen, welche die Volkswahl der Kantonsregierungen rückgängig machen und wieder den Parlamenten übertragen will. Die heutige Volkswahl der Kantonsregierungen beweist, dass die Bürger nicht überfordert sind und die Konkordanz durchaus zu bewahren wissen. Auch wird dem Stimmvolk bei zahlreichen Abstimmungen zugetraut, selbst in schwierigsten Sachfragen rechtsverbindlich zu entscheiden. Beispiele der Volkswahl in den Kantonen zeigen, dass die sprachlichen Minderheiten mit entsprechenden Bestimmungen zur allgemeinen Zufriedenheit an der Regierung beteiligt werden können. Eine „Amerikanisierung“ des Wahlkampfs ist nicht zu befürchten. Hingegen würde die Volkswahl des Bundesrates die Schweizer Politik beleben, sogar elektrisieren und damit der zunehmenden Wahlabstinenz und dem politischen Desinteresse entgegenwirken. In die Kantonsregierungen werden vom Volk weder Multimillionäre noch „Populisten“ oder Demagogen gewählt, sondern ganz normale Frauen und Männer, von denen sich das Volk glaubwürdig vertreten fühlt.

Persönlichkeiten statt Karrieristen
Das Wesen von demokratischen Wahlen besteht im Anbieten von Alternativen statt von zwanghaft Vorgegebenem. Die bisherige Wahl durch das Parlament hat eigenständige, profilierte Persönlichkeiten eher benachteiligt. Statt die politische Befähigung und Erfahrung standen unmassgebliche Kriterien wie Sozialverträglichkeit, Einordnungswille und Stilfragen im Vordergrund. Bei einer Volkswahl wäre der Bundesrat gezwungen, die Ansichten einer Mehrheit des Volkes zu vertreten, die nicht mit denjenigen des Parlamentes übereinstimmen müssen. Die heutige Regelung führt zu einer unerwünschten Abhängigkeit der Regierung vom Parlament statt zur Verantwortlichkeit gegenüber dem Souverän. Bei einer Volkswahl wäre künftig undenkbar, dass sich der Bundesrat im Ausland für Volksentscheide entschuldigt oder sich im Falle ausländischer Angriffe nicht vor sein Volk und dessen Interesse stellt. Die Volkswahl der Regierung führt nicht zur Stärkung von deren Macht, sondern im Gegenteil zur besseren Kontrolle der Regierungsmacht. Heute indessen hat der Bundesrat gegenüber dem vom Volk gewählten Parlament eine deutlich geringere Legitimation. Die Wahlbasis des Bundesrates ist mit 246 Volks- und Standesvertreter im Vergleich zu dessen weit reichenden Kompetenzen zu schmal. Das Parlament besitzt gegenüber dem Bundesrat eine privilegierte Rechtsstellung, was dem Gedanken der Gewaltenteilung widerspricht. Die Legislative soll die Wahl der Exekutive ans Volk abtreten und sich damit auf seine eigentliche Aufgabe beschränken, nämlich auf den Erlass von Gesetzen. Die Volkswahl des Bundesrates macht die Regierung unabhängiger von einzelnen Sonderinteressen und verpflichtet sie zu einer Politik des Gemeinwohls, da eine Mehrheit des Volkes für die Wahlen resp. Wiederwahlen gewonnen werden muss.

Vorschlag für neue Verfassungsartikel
Grundsätzlich ist es wegen der demokratischen Legitimität vorteilhaft, alle sieben Bundesräte durch alle Stimmbürger zu wählen. Das Mehrheitsprinzip (Majorzsystem) bietet die beste Gewähr für Persönlichkeitswahlen und findet heute – mit Ausnahme von Zug und Tessin – in allen Kantonen Anwendung. Die sprachlichen Minderheiten sollen angemessen berücksichtigt werden. Dies ist zwar in gewisser Weise eine Abkehr vom Leistungsprinzip („die Besten sollen gewählt werden“; die Kantone Graubünden oder Freiburg sehen beispielsweise keine Sitzgarantien für einzelne Sprachregionen vor). Die Sitzgarantie für die Romandie und das Tessin entspricht aber der heute bei Bundesratswahlen (stillschweigend) gefolgten Praxis. Weil es wünschbar ist, alle Bundesräte durch sämtliche Bürger des Landes zu wählen, ist für die eidgenössische Ebene dem Berner Konzept (mit einer Sitzgarantie) gegenüber dem Walliser Konzept (unterschiedliche Wahlkreise) der Vorzug zu geben. Der folgende Vorschlag sieht vor, dass den Kantonen Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf, Jura, den französischsprachigen Bezirken der Kantone Freiburg, Wallis und Bern sowie den italienischsprachigen Bezirken des Kantons Graubünden insgesamt zwei Sitze garantiert werden.

Berner Konzept auf Bundesebene
Das Berner Konzept garantiert der sprachlichen Minderheit, dass sie einen qualifizierenden Einfluss auf die Bestimmung jener Personen hat, die sie im Bundesrat vertreten. Gleichzeitig wird das Recht der Wählerinnen und Wähler der ganzen Schweiz nicht geschmälert, bei der Wahl aller Mitglieder des Bundesrates mitbestimmen zu können. Da die Mitglieder des Bundesrates ihre „Autorität“ auf dem Gebiet der ganzen Schweiz ausüben, ist durch diesen Vorschlag sichergestellt, dass sie ihre demokratische Legitimation auf die Stimmberechtigten des gesamten Territoriums zurückführen können. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin soll durch den Bundesrat aus den Mitgliedern des Bundesratskollegiums auf die Dauer eines Jahres gewählt werden. Eine Volkswahl des Bundespräsidenten und damit der Übergang vom Kollegial- zum Präsidialsystem kommt nicht in Frage. Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin soll weiterhin durch die Vereinigte Bundesversammlung auf die Dauer von vier Jahren gewählt werden.

Der Vorschlag für die neuen Verfassungsbestimmungen zur Wahl des Bundesrates lautet wie folgt:

Art. 175 Zusammensetzung und Wahl

1. Der Bundesrat besteht aus sieben Mitgliedern.
2. Die Mitglieder des Bundesrates werden vom Volk in direkter Wahl nach dem Grundsatz des Majorzes bestimmt. Die Gesamterneuerung des Bundesrates findet alle vier Jahre gleichzeitig mit der Wahl des Nationalrates statt.
3. Für die Wahl bildet die gesamte Schweiz einen Wahlkreis.
4. Mindestens zwei Mitglieder des Bundesrates werden aus den Wählern der Kantone Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf und Jura, der französischsprachigen Bezirke der Kantone Freiburg, Wallis und Bern sowie der italienischsprachigen Bezirke des Kantons Graubünden bestimmt. Für die Zuteilung dieser beiden Sitze werden die Stimmen für diese Kantone bzw. Bezirke und für die gesamte Schweiz getrennt ermittelt. Gewählt sind diejenigen Kandidaten mit den höchsten geometrischen Mitteln beider Ergebnisse.
5. Der Bundesrat wählt seine Präsidentin oder seinen Präsidenten und seine Vizepräsidentin oder seinen Vizepräsidenten je für die Dauer eines Jahres.

Zudem sind Artikel 136 Absatz 2 und Artikel 168 Absatz 1 der Bundesverfassung anzupassen, und zwar wie folgt:

Art. 136 Politische Rechte

1. Die politischen Rechte in Bundessachen stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und die nicht wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind. Alle haben die gleichen politischen Rechte und Pflichten.
2. Sie können an den Bundesrats- und Nationalratswahlen und an den Abstimmungen des Bundes teilnehmen sowie Volksinitiativen und Referenden in Bundesangelegenheiten ergreifen und unterzeichnen.

Art. 168 Wahlen

1. Die Bundesversammlung wählt die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler, die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts sowie den General.
2. Das Gesetz kann die Bundesversammlung ermächtigen, weitere Wahlen vorzunehmen oder zu bestätigen.

Ergänzung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte
Gemäss Artikel 15 Absatz 3 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976 treten Änderungen der Bundesverfassung nach Annahme durch Volk und Stände sofort in Kraft.
Nach Gutheissung der Volkswahl des Bundesrates ist das Bundesgesetz über die politischen Rechte unverzüglich mit einem neuen Titel zu ergänzen. Darin ist insbesondere folgendes vorzusehen:

  • Geometrisches Mittel bedeutet, dass die Gesamtzahl der Stimmen in den Kantonen Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf, Jura, der französischsprachigen Bezirke der Kantone Freiburg, Wallis und Bern, die italienischsprachigen Bezirke des Kantons Graubünden sowie die Gesamtzahl der Stimmen in der ganzen Schweiz getrennt ermittelt und miteinander multipliziert werden. Aus dem Ergebnis der Multiplikation wird die Wurzel gezogen.
  • Unter Vorbehalt der den Kantonen Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf, Jura und den französischsprachigen Bezirken der Kantone Freiburg, Wallis und Bern sowie der italienischsprachigen Bezirke des Kantons Graubünden garantierten Sitze sind in den Bundesrat gewählt:
  • Im ersten Wahlgang in der Reihenfolge der Stimmenzahl diejenigen, welche das absolute Mehr der gültigen Stimmen auf sich vereinigen.
  • Im zweiten Wahlgang diejenigen mit der höchsten Stimmenzahl.
Christoph Mörgeli
Christoph Mörgeli
Nationalrat Stäfa (ZH)
 
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