Editorial

Was will der Bundesrat in Brüssel erreichen?

Mit einem dürren Communiqué kündigte der Bundesrat am vergangenen Freitag die Reise einer hochrangigen Delegation unter der Leitung von Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf und Aussenminister…

Martin Baltisser
Martin Baltisser
Bern (BE)

Mit einem dürren Communiqué kündigte der Bundesrat am vergangenen Freitag die Reise einer hochrangigen Delegation unter der Leitung von Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf und Aussenminister Burkhalter morgen Dienstag nach Brüssel an. „Die Themen des Besuchs in Brüssel betreffen den Stand und das weitere Vorgehen in den bilateralen Beziehungen Schweiz-EU, den Steuerbereich, Fragen zur Finanzmarktregulierung, die Euro-Krise sowie aktuelle aussenpolitische Themen,“ so der vollständige Wortlaut zum Zweck der Mission. Erst vor zwei Wochen rühmte sich der Bundesrat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der SVP-Fraktion für die „rasche und transparente Kommunikation seiner Europapolitik“. Wer mit so viel Selbstvertrauen und glasklaren Zielen nach Brüssel reist, darf sich nicht wundern, wenn er wenig für das Land erreicht.

Der Auftritt der damaligen Bundespräsidentin Calmy-Rey vom 8. Februar 2011 in Brüssel war demütigend. EU-Kommissionspräsident Barroso gab den Tarif durch: Bei den laufenden Gesprächen zwischen der Schweiz und der EU gehe es nur noch um institutionelle Fragen, also um einen gesamtheitlichen Rahmen für die Übernahme von EU-Recht durch die Schweiz. Die Schweizer Bundespräsidentin nickte freundlich.

Souveränität wird immer stärker preisgegeben
Ein Jahr später dürften die Gespräche kaum fruchtbarer verlaufen. Der Bundesrat nimmt den zunehmenden Souveränitätsverlust ohne nennenswerte Gegenwehr hin. Die Bereiche, in denen sich die Schweiz weitgehend den EU-Regeln unterworfen hat und bereits heute institutionell eingebunden ist, wie etwa Schengen/Dublin oder die Personenfreizügigkeit, werden zu einer immer grösseren Hypothek. Doch der Bundesrat redet die Situation weiterhin schön und zögert gar, die ihm noch zur Verfügung stehenden Instrumente, z.B. die Ventilklausel zur Begrenzung der Zuwanderung aus Osteuropa, einzusetzen. Stattdessen prägt der Bundesrat immer neue Begriffe und Ideen für eine europapolitische Strategie, die kaum an Konturen gewinnt. Nach den Bilateralen III und dem gesamtheitlichen und koordinierten Ansatz (GKA) lancierte Aussenminister Burkhalter Anfang 2012 die Idee, dass ein sektorielles Abkommen, das Energieabkommen, zu einem Modellfall für die künftige Europapolitik werden sollte. Institutionelle Fragen und die Übernahme von EU-Recht sollen dabei exemplarisch ins Abkommen integriert werden. Und auch hier dürfte das Fazit letztlich lauten, dass die EU auf eine weitere institutionelle Einbindung der Schweiz pocht und selbst keine inhaltlichen Zugeständnisse in sektoriellen Fragen macht. Eine harte Haltung der EU wäre kein Drama, sofern auch unsere Seite dem Druck nicht nachgäbe.

Standhaftigkeit gefragt
Man fragt sich auch, was das Ziel der Reise in den anderen erwähnten Dossiers sein soll. Um das Unverständnis der EU über die angestrebten bilateralen Abkommen der Schweiz mit einzelnen Mitgliedstaaten zu einer Abgeltungssteuer abzuholen, muss man nicht eigens nach Brüssel reisen. Im sogenannten Steuerstreit mit der EU blockiert zudem ein innerschweizerisches Seilziehen zwischen den verschiedenen Akteuren bei Bund und Kantonen die Umsetzung einer proaktiven Strategie im Bereich der Unternehmensbesteuerung. Und dass die Schweiz im Zusammenhang mit dem Erhalt eines konkurrenzfähigen Finanzplatzes bisher jedem Druck aus dem Ausland früher oder später nachgegeben hat, trägt auch nicht zur Stärkung der Verhandlungspositionen bei.

Was ist mit den Schweizer Interessen?
Zu erwarten wäre vom Bundesrat eigentlich, dass er Brüssel auf die existierenden Probleme der Schweizer Bevölkerung im Zusammenhang mit den bestehenden Abkommen mit der EU aufmerksam macht. Die Bilanz von Schengen/Dublin ist für unser Land längst auf die Negativseite gekippt und die problematischen Folgen der ungesteuerten Zuwanderung sind immer stärker spürbar. Auch regional ist das Verhältnis gegenüber den europäischen Nachbarn belastet, vom Grenzkanton Tessin bis zur Flughafenregion im Norden des Landes. In all diesen Fragen gäbe es genügend handfeste Interessen zu vertreten. Die bestehenden Probleme werden sich durch Gespräche über eine weitere institutionelle Einbindung in die EU nicht auflösen. Vielmehr würde eine neuerliche Preisgabe der Souveränität die Position der Schweiz und insbesondere der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zusätzlich schwächen. Das akzeptiert die SVP nicht und kämpft deshalb für die Unabhängigkeit und die Mitsprache des Volkes in der Aussenpolitik. Daran wird sie auch die Ergebnisse des Treffens von morgen messen.

Martin Baltisser
Martin Baltisser
Bern (BE)
 
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