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Aussenpolitik

Schengenvertrag – Bedrohung unserer Freiheit und Sicherheit

Im offiziellen Abstimmungsbüchlein für die Schengen-Volksabstimmung vom 05. Juni 2005 argumentierte der Bundesrat auf Seite 13: „Die Teilnahme an Schengen bringt wirtschaftliche Vorteile. So wird…

Pirmin Schwander
Pirmin Schwander
Nationalrat Lachen (SZ)

Im offiziellen Abstimmungsbüchlein für die Schengen-Volksabstimmung vom 05. Juni 2005 argumentierte der Bundesrat auf Seite 13: „Die Teilnahme an Schengen bringt wirtschaftliche Vorteile. So wird das Bankgeheimnis für die direkten Steuern vertraglich abgesichert.“ Wer immer heute bei Schengen nach wirtschaftlichen Vorteilen sucht, wird bei genauem Hinsehen erkennen, dass dieses Dossier mit der Wirt-schaftsentwicklung unseres Landes nichts zu tun hat. Denn im Wesentlichen geht es um den grenzenlosen und unkontrollierten Personenverkehr, um den automatischen Informationsaustausch und um die automatischen Anpassungen nationaler Gesetze an das Schengener-Recht. Die freie, souveräne Rechtsgestaltung und damit verbunden die nationale Sicherheit sind nicht mehr gewährleistet.

Unsicherheitsraum Schengen
Der zentrale Satz des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 steht in Artikel 2: „Die Binnengrenzen dürfen an jeder Stelle ohne Personenkontrolle überschritten werden.“ Schengen steht heute für ein „Europa ohne Grenzen“. Damit wurde aus dem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ eine freie Fahrt für alle, auch für Kriminelle, Waffenschieber, organisierte Verbrecher, Illegale, Schlepper und Asylmissbraucher. Alexander Ott, Leiter von Einwohnerdiensten, Migration und Fremdenpolizei der Stadt Bern, sagte am 9. August 2010 im Tages Anzeiger: „Mit dem Schengen-Grenzabkommen wurde es zum Teil einfacher, ohne gültige Papiere in die Schweiz einzureisen. Es entwickelten sich neue Schlupflöcher. Die Menschen reisen mittels eines erschlichenen Schengen-Visums ein. Zudem greifen wir mehr Illegale auf, die sich nicht mit gefälschten Papieren ausweisen, sondern mit falschen. Bei Einreisekontrollen wurde das nicht bemerkt.“ Dass Schengen die Sicherheit erhöht, wie es Bundesrat und Parlament 2005 behaupteten, erweist sich heute also immer mehr als Lügenkonstrukt. Die Fakten sprechen Bände. Warum aber verkaufen der Bundesrat, eine Mehrheit des Parlaments und die Verwaltung den Schengenvertrag immer noch als Sicherheitsprojekt? Die Antwort liegt schon lange auf dem Tisch. Der ehemalige SP-Parteipräsident Hans-Jürg Fehr gab der WOZ bereits am 10. Februar 2005 zu Protokoll: „Für uns passt Schengen in unsere Strategie mit dem Ziel eines EU-Beitritts. … Schengen ist qualitativ anders gelagert als alle anderen bilateralen Abkommen. Schengen betrifft einen Kernbereich der staatlichen Tätigkeit, und deswegen hat es auch eine andere Qualität bezüglich Öffnung.“ Oder wie es Bundesrätin Calmy-Rey nach „Hundert Tagen im Amt“ ausdrückte: „Indem wir die bilateralen Beziehungen zur Europäischen Union und allen jetzigen und künftigen Mitgliedstaaten intensivieren, können wir den Boden für den EU-Beitritt bereiten.“

Die Trojaner
In der NZZ vom 01.12.2004 prophezeite der damalige Bundesrat Deiss: „Das Bankgeheimnis ist im Schengen-Abkommen vertraglich abgesichert, und zwar zeitlich unbefristet.“ Und in der Weltwoche vom 26. Mai 2005 doppelte er nach: „dass wir im Kern das Bankgeheimnis völkerrechtlich verankert haben. Das ist ja das Fantastische.“ Bundesrat und Verwaltung brüsteten sich immer wieder mit dem ausgezeichneten Verhandlungser-gebnis und insbesondere mit den drei ausgehandelten Ausnahmeregelungen für die Schweiz: Garantie der doppelten Strafbarkeit, des heutigen Waffenrechts und der direkten Demokratie. Was ist davon übrig geblieben? Der Hunger der europäischen Finanzminister hat das in Fels gemeisselte Bankkundengeheimnis sehr schnell zum Bröckeln gebracht. Und Bundesrat und Verwaltung haben wacker mitgeholfen. Denn bereits während des Abstimmungskampfes im Jahr 2005 hat die offizielle Schweiz in den zuständigen Gemischten Ausschüssen des EU-Rates an einer Weiterentwicklung des In-formationsaustausches mitgearbeitet. Unter dem Deckmantel von Vereinfachung, Freiheit, Sicherheit und Recht hat dann der Rat der Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedstaaten am 18. Dezember 2006 den automatischen Informationsaustausch auf alle Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten ausgeweitet. Und was macht die Schweiz? Bundesrätin Widmer-Schlumpf sagte am 28. April 2009 im Nationalrat: „Es geht nicht um einen automatischen Informationsaustausch, sondern um einen Informationsaustausch auf Anfrage, ausser in Ausnahmefällen, wo es um spontane Informationen geht.“ Ohne Rechts- und Amtshilfe werden also spontane Informationen ausgetauscht! Natürlich werden diese Informationen nie missbraucht für Nachforschungen bei Steuerhinterziehung. Zentrale Datenbanken wie SIS I, SISone4all, SIS II, VIS, MIDES, Eurodac und solche bei Frontex (Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen) und Eurojust (verstärkte justizielle Zusammenarbeit) laden geradezu Trojaner ein, sich einzunisten. Wer hat da noch den Überblick. Wer kennt da noch die Zusammenhänge mit Europol, Interpol und Ripol? Die Zusammenarbeit unter all diesen Stellen ist komplementär, heisst es lapidar.

Bevormundung von der Wiege bis zur Bahre
Und der Pudels Kern liegt darin, dass die Schweiz mit dem Schengener Abkommen weit in die EU Strukturen eingebunden ist. Mit der Annahme des rund 500-seitigen Schengenvertrages musste die Schweiz das Ausländergesetz, das Asylgesetz, das Strafgesetz, das Waffengesetz, das Kriegsmaterialgesetz, das Güterkontrollgesetz, das Steuerharmonisierungsgesetz sowie das Betäubungsmittelgesetz sofort anpassen. Aber auch die Weiterentwicklung des Rechts durch die EU muss die Schweiz automatisch übernehmen. In der Zwischenzeit folgten so über 110 Anpassungsschritte. Die Schweiz kann zwar bei den Diskussionen dabei sein, mitentscheiden kann sie aber nicht. Man muss sich vorstellen, was das heisst: Die Schweiz muss fremdes Rechts übernehmen, das in Brüssel beschlossen wird. Will sie eine neue Massnahme nicht übernehmen, wird das Abkommen gekündigt oder die Schweiz muss das Abkommen kündigen. Einzelne Artikel können nicht geändert werden. Die Schweiz kann also nur noch umsetzen, was andere verlangen. Die eingehandelte Referendumsmöglichkeit ist eine reine Farce. Mit anderen Worten: Im Bereich Grenzkontrolle, Einreise und Visumspolitik haben wir unsere nationale Souveränität aufgegeben. Die Schweiz hatte zum Beispiel zur Visumsbefreiung für Mazedonien, Montenegro, Serbien, Albanien und Bosnien nichts mehr zu sagen. Beim Vergleich zwischen den Abstimmungsunterlagen und dem heutigen Umfang und der Dynamik von Schengen müssen wir einmal klipp und klar feststellen: Nichts ausser Lug und Trug. Und es gilt einmal mehr die Binsenwahrheit: „Wo immer die letzten Ziele der internationalen Politik liegen mögen, das unmittelbare Ziel ist stets die Macht.“ Deshalb braucht die Schweiz wieder mehr Freiheit und Sicherheit.

Pirmin Schwander
Pirmin Schwander
Nationalrat Lachen (SZ)
 
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