Die Bundeshausfraktion der SVP befasste sich an ihrer Sitzung eingehend mit den Folgen einer Ablehnung des EU-Unterwerfungsvertrages für die Schweiz sowie mit der Frage des obligatorischen Referendums. Als externe Referenten traten Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger und alt Bundesrichter Hansjörg Seiler auf. Das Fazit der Experten: Laut Reiner Eichenberger belegt die vom Bundesrat in Auftrag gegebene Ecoplan-Studie, dass ein Nein zum EU-Unterwerfungsvertrag kaum negative Konsequenzen für den Wohlstand der Schweizer Bevölkerung hat. Und gemäss Hansjörg Seiler ist das Ständemehr bei der Abstimmung über den EU-Unterwerfungsvertrag zwingend notwendig.
Ein Nein zum EU-Unterwerfungsvertrag würde die Schweizer Bevölkerung teuer zu stehen kommen, sagen die EU-Turbos in Bundesrat und Verwaltung unter Berufung auf eine vom Bund beim Büro Ecoplan in Auftrag gegebene Studie. Diese ging davon aus, dass bei einem Nein zum EU-Unterwerfungsvertrag die Bilateralen I inklusive Personenfreizügigkeit wegfielen. Als Folge würde die Schweiz bis ins Jahr 2045 fast 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verlieren. Diese Einbussen würden sich kumuliert auf 26,4 Milliarden Franken belaufen, pro Kopf sei mit Einkommensverlusten von rund 2500 Franken pro Jahr zu rechnen.
Für Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger ist diese Auslegung der Ecoplan-Studie durch Bundesrat und Verwaltung «skandalös». Wie der Ökonom vor der SVP-Fraktion darlegte, zeigt die Studie bei genauerer Betrachtung genau das Gegenteil des bundesrätlichen Schreckens-Szenario: «Die Bilateralen I sind wirtschaftlich fast wertlos für die Schweiz – ihr Wegfall wäre problemlos verkraftbar.»
EU-Zuwanderer tragen kaum zum Wohlstand bei
Klar ist hingegen: Ohne die Bilateralen I und damit ohne Personenfreizügigkeit kämen deutlich weniger Zuwanderer aus der EU in die Schweiz. Konkret geht die Studie von einem Minus von jährlich rund 20’000 Personen aus. Zwischen 2028 und 2045 kämen insgesamt 344’000 Personen weniger und die Schweiz hätte «nur» 10,38 Millionen statt 10.73 Millionen Einwohner, so Eichenberger. «Weniger Menschen in einem Land bedeuten automatisch ein kleineres BIP, ohne dass damit ein Wohlstandsverlust einhergeht.» Zudem nütze die Wirtschaftsleistung von Zuwanderern und Grenzgängern den Schweizern wenig. «Diese fliesst grösstensteils über die Löhne an die Zuwanderer selbst.»
Eichenberger rechnete vor, dass die Aussage «die Einkommensverluste beliefen sich auf 2545 Franken pro Kopf» falsch ist. «Der korrekte Wert liegt bei rund einem Drittel.» (Lesen Sie hierzu den Meinungsbeitrag von Reiner Eichenberger zur Studie: www.fuw.ch/schweiz-eu-wie-der-bundesrat-die-fakten-zum-eu-vertrag-verdreht-526012709157
Hinzu kommt: Die Ecoplan-Studie berücksichtigt laut Eichenberger nur den Nutzen, nicht aber die Kosten der Bilateralen I, respektive der Personenfreizügigkeit. Insbesondere würden die ganzen «Füllungskosten» ignoriert, das heisst die Verknappung und die Verteuerung von Land, Wohnraum, Infrastruktur, Schulleistungen, Spitalleistungen und Umweltgütern. Also Infrastruktur, die mit dem starken und raschen Bevölkerungswachstum schnell und zu hohen Kosten ausgebaut werden müssen. «Für eine faire Betrachtung der wirtschaftlichen Auswirkungen der EU-Verträge müsste man auch solche Effekte berücksichtigen.» In der Summe, der von Ecoplan geschätzten wirtschaftlichen Nachteile und den Vorteilen durch weniger Füllungskosten, wäre der Hinfall der Bilateralen I deshalb gemäss Eichenberger wohl klar positiv.
Übernahme von EU-Gesetzen – ohne Mitsprache von Parlament und Volk
Hansjörg Seiler, alt Bundesrichter und Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, erläuterte vor der SVP-Fraktion unter anderem den Mechanismus der Übernahme von EU-Recht. Bei der Mehrzahl der Abkommen (Strom, Lebensmittelrecht, Gesundheit, Luftverkehr) erfolgt die Übernahme des EU-Rechts durch die Integrationsmethode. Das heisst, aktuelles und künftiges EU-Recht wird unmittelbar Teil der Schweizer Rechtsordnung. Entscheiden würde der gemischte Ausschuss. «Damit gibt es kein innerstaatliches Gesetzgebungsverfahren, ein Staatsvertragsreferendum ist nicht möglich», so Seiler. Mit anderen Worten: Weder Parlament noch Volk haben zu Gesetzesänderungen etwas zu sagen.
EU-Vertrag steht im Widerspruch zur Verfassung
Damit hat der EU-Vertrag weitreichende Folgen für unser Land. Hinzu kommt: Der Vertrag steht im Widerspruch zu Artikel 121a der Bundesverfassung. Dieser besagt, dass die Schweiz die Zuwanderung eigenständig mit jährlichen Höchstzahlen und Kontingenten steuert und keine völkerrechtlichen Verträge abschliessen darf, die gegen diesen Artikel verstossen.
Mit dem EU-Vertrag würde die Schweiz jedoch die EU-Unionsbürgerrichtlinie übernehmen, die laut Seiler deutlich weiter geht als die heute geltende Personenfreizügigkeit. «Beispielsweise mit der Erteilung des Daueraufenthaltsrechtes nach neu 5 Jahren, beim Familiennachzug und auch bei Sozialhilfeabhängigkeit werden neue Ansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz geschaffen.» Damit könnten künftig Personen in der Schweiz bleiben und ihre Familie nachziehen, die unter der heute geltenden Personenfreizügigkeit unser Land verlassen müssten.
Laut Seiler hat diese Unvereinbarkeit des EU-Unterwerfungsvertrags mit der geltenden Verfassungsordnung Auswirkungen auf das obligatorische Referendum. Der EU-Vertrag dürfe nur abgeschlossen werden, wenn vorgängig Artikel 121a der Bundesverfassung geändert werde – wofür das obligatorische Referendum zwingend nötig wäre. Damit ist der EU-Unterwerfungsvertrag im praktischen Ergebnis dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. Das heisst: Für die Zustimmung ist das Volksmehr und die Mehrheit der Kantone (Stände) nötig.