Referat

Die Herausforderungen des Bundesrates in der nächsten Legislatur

Alle vier Jahre schreiben Bundesrat und Parlament ein Legislaturprogramm. Darin steht, welches die politischen Schwerpunkte bis zu den nächsten Wahlen sein sollen und in welche Richtung man gehen..

Ueli Maurer
Ueli Maurer
Bundesrat Wernetshausen (ZH)

Alle vier Jahre schreiben Bundesrat und Parlament ein Legislaturprogramm. Darin steht, welches die politischen Schwerpunkte bis zu den nächsten Wahlen sein sollen und in welche Richtung man gehen will.

Daneben gibt es aber noch ein anderes Legislaturprogramm; ein Legislaturprogramm, das von der politischen Realität geschrieben wird.

Für die nächsten vier Jahre müssen wir davon ausgehen, dass uns die politischen Prioritäten diktiert werden: Durch die Schuldenkrise in Europa und den USA, durch die Entwicklungen in der EU und durch die Forderungen, die an unser Land gestellt werden.

Unser Land steht also sowohl vor grossen wirtschaftlichen als auch vor grossen politischen Herausforderungen:

Die Schuldenkrise wirkt sich auf die Weltwirtschaft aus. Auch die Schweiz muss mit einer Rezession rechnen. Erfahrungsgemäss steigt dann die Versuchung, mit staatlichen Eingriffen die wirtschaftliche Entwicklung zu beeinflussen. Aber mit mehr Staat gibt es auf die Dauer nicht mehr Wachstum, sondern höhere Regulierungsdichten, Staatsquoten und Steuern. Wir müssen darum in den nächsten vier Jahren den staatsgläubigen Reflexen widerstehen und auf unsere bewährte freiheitliche Ordnung setzen.

Nebst wirtschaftspolitischen Herausforderungen bringt die Krise vor allem auch staatspolitische und aussenpolitische Herausforderungen. Darauf möchte ich näher eingehen: Schon in den vergangenen Jahren ist die Schweiz immer wieder unter Druck gesetzt worden. Man hat uns vorgeworfen, wir seien ein „Steuerparadies“, so als ob ein Paradies etwas Schlechtes wäre; man hat uns mit schwarzen Listen und mit der Kavallerie gedroht.

Und dieser Druck wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen: Die Schuldenstaaten werden noch vermehrt einen Sündenbock suchen, um von den eigenen Problemen abzulenken. Zudem fürchten sie die Standortkonkurrenz mit der freiheitlichen Schweiz. Und nicht zuletzt finden sie bei uns, was ihnen fehlt: nämlich Geld.

Die angeschlagenen grossen, stolzen Staaten werden noch vermehrt ihre Macht und Muskeln gebrauchen, um Interessen durchzusetzen.

Sollte sich die Krise weiter verschärfen, dann werden auch der Ton nochmals härter und die Forderungen nochmals dreister. Schon jetzt wird in verschiedener Hinsicht unser Selbstbestimmungsrecht in Frage gestellt. In den kommenden vier Jahren wird darum die Unabhängigkeit der Schweiz das Hauptthema sein.

Das ist für uns unangenehm, aber es ist nicht neu. Die Frage der Unabhängigkeit ist Teil unserer Landesgeschichte. Ein Kleinstaat wie die Schweiz muss sich immer wieder behaupten. Die Existenz unseres Landes ist keine Selbstverständlichkeit, sondern braucht einen dauernden Einsatz und Effort.

Immer in der Geschichte hat es nebst dem Druck aus dem Ausland auch die Stimmen im Inland gegeben, die für Anpassung und Aufgabe plädierten. Der Einsatz für eine unabhängige Schweiz muss daher immer an zwei Fronten erfolgen:

Auf Regierungsebene, um dem Druck von Aussen standzuhalten. Und im Volk, um in wichtigen Abstimmungen eine Mehrheit für unsere freiheitliche Ordnung und Unabhängigkeit zu finden.

Damit steht die Aufgabenteilung fest: Die eine Aufgabe ist, dem Druck von Aussen die Stirne zu bieten. Das ist die Aufgabe des Bundesrates. Die zweite Aufgabe ist, im Innern gegen Verblendungen und Selbstaufgabe anzukämpfen. Das ist die Aufgabe aller Bürger, die an unser Land glauben.

Unabhängigkeit als dauernde historische Herausforderung
Druck war in der Vergangenheit oft der Normalzustand. Die Beispiele aus der neueren Geschichte stimmen insofern zuversichtlich, als sie zeigen, dass mit dem notwendigen Willen auch unser kleines Land grossem Druck standhalten kann – sonst gäbe es die Schweiz schon lange nicht mehr:

Wiener Kongress:
Schon in den Jahren nach dem Wiener Kongress von 1815, als die Schweiz nach dem Zusammenbruch von Napoleons Reich wieder zum unabhängigen Staat wurde, stand ihre demokratische Ordnung unter starkem aussenpolitischen Druck: Die grossen europäischen Grossmächte Österreich-Ungarn, Preussen, Russland und Frankreich schlossen sich zu einem Bund zusammen, zur Heiligen Allianz. Die freie Schweiz passte den Monarchen nicht ins Weltkonzept. Entsprechend war die Schweiz dauernd Erpressungen und Drohungen ausgesetzt.
Reichsgründungen:
Dann kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Entstehungszeit der neuen grossen, zentralistischen Nationalstaaten. 1861 entstand das Königreich Italien, 1871 das Deutsche Kaiserreich. Da stellten auch bei uns viele die Frage, ob die Schweiz als kleines Land überhaupt weiterbestehen könne.

Weltkriege:
Nicht besser war es in der Epoche der beiden grossen Weltkriege. Auch da gab es im Inland und im Ausland Stimmen, die verlangten, dass die Schweiz nicht abseits stehe und Partei ergreife.

Kalter Krieg:
Während des Kalten Krieges war die Freiheit wiederum doppelt gefährdet: Aussenpolitisch durch die militärische Bedrohung des Warschauer Paktes, innenpolitisch durch Sympathisanten des Sozialismus und Marxismus. So pflegte die SP Kontakt zur DDR, Delegationen besuchten einander gegenseitig und man tauschte brüderliche Grüsse unter Genossen aus.

EWR:
Viele von uns erinnern sich noch gut an die Abstimmung über den EWR. Damals war es vor allem eine selbst ernannte Elite in Politik, Verwaltung und Wirtschaft, die die Unabhängigkeit unseres Landes schlechtmachte.

Im Abstimmungsbüchlein für den 6. Dezember 1992 schrieb der Bundesrat von der „Gefahr einer Isolation der Schweiz in Europa“, die es abzuwenden gelte. Und Staatssekretär Blankart drohte: „Nach fünf Jahren Alleingang würden wir aus wirtschaftlichen Gründen die EG auf den Knien bitten, uns um jeden Preis als Mitglied aufzunehmen.“

Druck wird Legislatur dominieren
Diese ewige Auseinandersetzung um Freiheit und Unabhängigkeit geht heute weiter. Wie immer wieder in der Geschichte, werden an uns Forderungen gestellt, die auf unsere Freiheit und Unabhängigkeit abzielen.

Der Bundesrat ist gefordert. Denn es ist die Aufgabe der Landesregierung, die Interessen der Schweiz zu verteidigen.

Schliesslich haben sich alle in der Landesregierung mit Eid oder Gelübde auf die Verfassung verpflichtet. Und da heisst es:

„Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.“

Und genau um diese Unabhängigkeit geht es in den nächsten Jahren. Ich kann Ihnen einige dieser Forderungen an unser Land nennen, denen wir uns in der nächsten Legislatur entgegenstellen müssen:

  • Ein unabhängiges Land bestimmt selbst über den Schutz der Privatsphäre. Dazu gehört auch das Bankkundengeheimnis. Jetzt fordern ausländische Staaten, dass wir diesen Schutz aufgeben. Oder sie kaufen sogar CD’s mit gestohlenen Bankdaten.
  • Ein unabhängiges Land bestimmt selbst über seine Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Die EU aber mischt sich in unsere innere Ordnung ein und wirft uns „schädliche Steuerpraktiken“ vor. Sie will uns Vorschriften über die Besteuerung von Unternehmen machen.
  • Ein unabhängiges Land bestimmt selbst, wer einreisen und sich niederlassen darf. Dieses Recht haben wir mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen bereits abgetreten. Damit haben wir unseren Spielraum in der Ausländerpolitik so stark eingeschränkt, dass wir die Zuwanderung nicht mehr selbst steuern können. Die Folge ist eine massive Einwanderung, die die Kapazität unseres kleinen Landes in jeder Hinsicht sprengt – sollte die Rezession auch die Schweiz erfassen, entsteht so ganz gefährlicher gesellschaftlicher Zündstoff. Wir müssen alles daran setzen, hier wieder unsere Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Darum sind wir mit der Volksinitiative zur Steuerung der Einwanderung auf dem richtigen Weg.
  • Ein unabhängiges Land bestimmt seine Rechtsordnung selbst. Jetzt fordert die EU, dass wir unser Recht automatisch dem EU-Recht anpassen.
    Dynamische Rechtsübernahme, institutionelle Lösung oder Bilaterale III heissen die Decknamen. Aber die wirkliche Bedeutung ist die: Wir verpflichten uns nicht nur, die bestehenden Gesetze der EU zu übernehmen, sondern auch alle Gesetze, die die EU in Zukunft einmal beschliessen wird. Das ist so, wie wenn Sie privat einen Vertrag abschliessen, mit dem Sie sich selbst binden, der Gegenpartei aber erlauben, den Inhalt jederzeit frei und beliebig abzuändern. Dem sagt man, die Katze im Sack kaufen. Und staatspolitisch nennt man so etwas einen Kolonialvertrag.
  • Die automatische Rechtsübernahme hätte die Qualität des EWR-Vertrages. Es gehört darum auch zu den Herausforderungen des Bundesrates, in der nächsten Legislatur zu verhindern, dass wir uns an ein sinkendes Schiff ketten, auf dem die Passagiere schon nach den Rettungsbooten rufen.

    Sicherheit als Fundament von Unabhängigkeit und Freiheit
    Eng mit der Unabhängigkeit der Schweiz verbunden ist die Frage der Sicherheit. Denn die Sicherheit ist das Fundament für Unabhängigkeit und Freiheit, Lebensqualität und Wohlstand. Die Sicherheit ist darum das zweite grosse Thema der nächsten Legislatur:

  • Die zunehmende Kriminalität beschäftigt die Bevölkerung verständlicherweise stark. Auch wenn die Innere Sicherheit eine Aufgabe der Kantone ist, ist der Bund gefordert. Die Gesetzgebung ist Bundessache, so zum Beispiel die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative. Auch die Asylproblematik ist Bundessache – der Zusammenhang zwischen steigenden Asylzahlen und der steigenden Kriminalität wird jetzt nach den Wahlen sogar in den Medien zum Thema.
  • Nebst der Inneren Sicherheit wird auch die Landessicherheit in der nächsten Legislatur ein Thema bleiben. Wir haben in den letzten Jahren wichtige Weichen für eine einsatzfähige Armee stellen können. Damit stellen wir die Sicherheit her, die für jede erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung eine Voraussetzung ist. Und darüber hinaus ist eine einsatzbereite Armee auch ein starkes Bekenntnis zur Unabhängigkeit unseres Landes. Wir machen damit klar, dass uns diese so viel wert ist, dass wir sie im Notfall auch militärisch verteidigen würden.
  • Sicherheit und Unabhängigkeit haben auch eine finanzielle Seite: International stehen wir mit unserem Staatshaushalt gut da. Aber auch wir haben offene Pendenzen. Ich denke zum Beispiel an die Sozialwerke. Hier haben wir die die Kostenentwicklung nicht im Griff. Darum gehören auch sie weit oben auf die Prioritätenliste. Die Schuldenkrise zeigt uns ganz deutlich, wie wichtig solide Staatsfinanzen sind.
  • Jahrelang mussten wir uns anhören, wir wollten den Staat kaputtsparen oder totsparen. Diese Gefahr droht nicht. Hingegen sehen wir jetzt deutlich, dass man Staaten kaputtverschulden und damit ganze Volkswirtschaften ruinieren kann. Und die überschuldeten Länder realisieren langsam, dass sie durch den Zustand ihrer Staatsfinanzen sogar ihre Unabhängigkeit verlieren. Denn auch international gilt: Wer zahlt, befiehlt!

Damit schliesst sich der Kreis und wir sind wieder bei der wirtschaftlichen Lage, die ich zu Beginn angesprochen habe: Nur wenn wir unabhängig bleiben, können wir unsere bewährte freiheitliche Ordnung bewahren. Und nur wenn wir unsere freiheitliche Ordnung bewahren, haben wir auch in Zukunft eine solide wirtschaftliche Basis für unsere Unabhängigkeit. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, beweisen uns die Schuldenstaaten: Sie setzten auf Staatswirtschaft, Regulierung und die Verwaltung als Wachstumsmotor. Gewachsen ist nicht die Wirtschaft, sondern der Schuldenberg. Der Druck, den sie auf uns ausüben, gilt unserem Erfolg. So unangenehm er ist, gibt es keine bessere Bestätigung, dass wir im internationalen Wettbewerb als kleines, aber freies Land gut dastehen.

Umso mehr müssen wir gerade in härteren wirtschaftlichen Zeiten unseren unabhängigen, freiheitlichen Weg konsequent weiterverfolgen: Keine Steuererhöhungen, Sanierung der Sozialwerke, Entlastungen für die Wirtschaft, weniger Vorschriften, weniger Einschränkungen und Auflagen. Kurz: Weniger Staat und mehr Freiheit für alle – auch das gehört zu den Aufgaben für die nächsten Jahre!

Eine stabile Regierung für existentielle Entscheide
Die Liste der Herausforderungen für die nächste Legislatur liesse sich noch fortsetzen. Aber das Wichtigste kann ich so zusammenfassen:

Die Unabhängigkeit der Schweiz ist keine Selbstverständlichkeit. In der Vergangenheit wurde sie immer wieder in Frage gestellt. Sie wird auch jetzt wieder in Frage gestellt. Und sie wird in den nächsten vier Jahren noch heftiger in Frage gestellt.

Der Einsatz für die Unabhängigkeit, die Sicherheit und eine freie Wirtschaftsordnung sind darum die grosse Herausforderungen der kommenden Legislatur. In diesen Fragen fallen die wichtigen Entscheide für unser Land.

Die Landesregierung spielt dabei eine ganz zentrale Rolle: Sie gibt die Richtung vor, sie lenkt und stellt die Weichen. Das Volk kann in Abstimmungen allenfalls noch die Notbremse ziehen, aber Richtung und Rhythmus bestimmt der Bundesrat.

Darum ist die Qualität der Arbeit in der Landesregierung in den nächsten Jahren existentiell für die Schweiz. In der kommenden Legislatur wird der Bundesrat unter anderem die Verhandlungsgegenstände mit der EU festlegen, er gibt den Diplomaten die Bandbreite vor, in welcher sie Konzessionen machen können, er signalisiert gegenüber dem Ausland Anpassung oder Widerstand.

Nochmals: Es geht um die Unabhängigkeit des Landes. Darum ist es wichtig, dass sich möglichst viele Bürger durch die Regierung vertreten fühlen. Auch all die Schweizerinnen und Schweizer, die für unsere Unabhängigkeit einstehen, müssen angemessen repräsentiert sein. Nur so erhält der Bundesrat die nötige Stabilität, um sich den grossen Herausforderungen der nächsten Legislatur stellen zu können.

Ueli Maurer
Ueli Maurer
Bundesrat Wernetshausen (ZH)
 
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