Referat

Die Praxis bei Sozialhilfe-Delinquenz im Zusammenhang mit der Durchsetzungs-Initiative

Anfang 2010 wurde ich von der Stimmbevölkerung von Regensdorf in die Sozialbehörde gewählt. Wir haben eine Sozialhilfequote von 4,2 Prozent, das heisst, bei 18‘000 Einwohnern sind rund 750 von Fürsorgeleistungen abhängig. Das sind rund 400 Haushalte.

Barbara Steinemann
Barbara Steinemann
Nationalrätin Watt-Regensdorf (ZH)

Anfang 2010 wurde ich von der Stimmbevölkerung von Regensdorf in die Sozialbehörde gewählt. Wir haben eine Sozialhilfequote von 4,2 Prozent, das heisst, bei 18‘000 Einwohnern sind rund 750 von Fürsorgeleistungen abhängig. Das sind rund 400 Haushalte.

Jeder Sozialhilfebezüger hat bei der Anmeldung ein Dokument zu unterzeichnen, wonach er über jede Einnahme und jede Vermögensveränderung von sich aus Meldung zu erstatten hat, unter Androhung von Konsequenzen[1]. Danach hat ein Fürsorgeempfänger tatsächlich jeden Migros-Sack mit Lebensmitteln als Gabe, aber auch geldwerte Leistungen wie das (Mit-)Benützen eines Motorfahrzeugs eines Dritten zu melden. Im Unterlassungsfall lassen es die Sozialverwaltungen jeweils bei schriftlicher Mahnung und Androhung von Kürzungen des Skos-Grundbetrages im Wiederholungsfall bewenden, unter anderem, weil aus einem juristischen Verfahren ein unverhältnismässiger Aufwand ohne Nutzen für die Gemeinde resultieren würde. Ein recht häufiger Fall hierzu: Ein sozialhilfebeziehender Haushalt erhält eine einmalige Zahlung aus einer Sozialversicherung auf sein Konto ausbezahlt. Diese (nachträglichen Taggelder) belaufen sich in aller Regel auf 6‘000 bis 13‘000 Franken.[2] Die von den Sozialbehörden praktizierten Bagatellgrenzen dürften etwas mehr als 10‘000 Franken betragen. In der Regel eröffnen wir kein Strafverfahren, obwohl der Sachverhalt stossend ist und durchaus eine missbräuchliche Absicht dahinterstehen dürfte.

Es gibt aber tatsächlich zahlreiche Sachverhalte, in denen sich eine Strafanzeige aufdrängt und lohnt, so beispielsweise in diesen Fällen, die sich allesamt im Kanton Zürich in verkürzter Fassung so zugetragen haben:

Ein Ausländer aus dem Nahen Osten hatte mit seinem Sohn und anderen Landsleuten einen blühenden illegalen Autohandel betrieben. Die jahrelange Fürsorgeabhängigkeit war bloss ein „legales“ Alibieinkommen. Beim Prozess vor Bezirksgericht hatte auch die Gemeinde ihre Ansprüche geltend gemacht. Seit der Entlassung aus dem Gefängnis hat sich allerdings nichts geändert: Der Betreffende bezieht genauso Sozialhilfe wie vorher. Der Schaden der Gemeinde beträgt pro Jahr rund 60‘000 Franken[3].

Gewerbsmässiger Betrug und Sozialhilfebetrug bleiben ohne Konsequenzen

Ein Türke, ebenfalls langjähriger „Kunde“ auf dem Steueramt einer Zürcher Gemeinde, wurde des Öfteren bei der Arbeit am Imbissstand seines Cousins gesichtet. Von den Sozialbehörden damit konfrontiert, gab er stets an, er helfe nur bei Kapazitätsengpässen gratis aus. Der Nachweis, dass jemand systematisch eine illegale Einnahmequelle generiert, ist schwierig, teuer und aufwändig[4]. Die Gemeinde hatte einen sehr teuren Sozialdetektiv[5] engagiert, um seine Schwarzarbeit beweisen zu können. Der Staatsanwalt stellte ihm einen Strafbefehl aus. Auf seinen Aufenthaltsstatus und seinen Status als Sozialhilfebezüger hatte die Verurteilung allerdings keinen Einfluss: Seine (amtliche) Bedürftigkeit hat nicht einmal zur Folge, dass er eine Busse bezahlen muss.

Eine deutsche Frau lebt seit rund zehn Jahren von der Fürsorge. Diese Leistungen[6] hat sie sich mit regelmässigen Zahlungen ihres Vaters aus Deutschland auf ein nichtdeklariertes Konto aufgebessert. Die Deliktsumme innerhalb der Verjährungsfrist von 5 Jahren betrug 18‘000 Franken[7], weitere Zuwendungen liessen sich nicht rechtsgenügend eruieren. Da es sich in der Summe um einen erheblichen Deliktsbetrag handelte und die Täuschung der Verwaltung systematisch erfolgte, stellte der Staatsanwalt einen Strafbefehl aus. Konsequenzen hatte das auch für sie keine: Sozialhilfebezüger gelten amtlich betrachtet als „mittellos“ – auch eine im Ergebnis ungleiche Behandlung mit dem Rest der Bevölkerung.

Der weitaus häufigste Fall von Sozialhilfebetrug ist das Nichtdeklarieren von Vermögen im Ausland. Frustrierend für Behörden und Sozialdetektive ist, dass in vielen Ländern keine amtlichen Grundbuchauszüge erhältlich sind. Aber gelingt eine Verurteilung, so soll sich die Gemeinde nicht nur schadlos halten, sondern der Täter auch ausgewiesen werden können.

Der Missbrauch unserer sozialen Errungenschaften ist keinesfalls eine „Bagatelle“, wie uns die Gegner weismachen wollen. Der geringe Handlungsspielraum, auch bei sehr stossenden Fällen, ist ohnehin ein Ärgernis für Gemeindeangestellte. Es handelt sich schliesslich um Steuergeld, das erst jemand verdienen musste. Aber auch bei Sozialhilfemissbrauch und -betrug gilt: Der grosse Unterschied zwischen dem vom Parlament beschlossenen Umsetzungsvorlage und der Durchsetzungs-Initiative ist bekanntlich nicht der Deliktskatalog, sondern die Härtefallklausel.

Unser Misstrauen gegenüber dieser Härtefallregelung im Sinne einer angeblichen Ausnahme kommt nicht von ungefähr, zeigt doch die Erfahrung, dass im juristischen Alltag die Ausnahme schnell einmal zur Regel wird.

Irritierend ist nämlich, dass trotz jahrelanger Kommissionsarbeit und trotz eingesetzter spezieller Arbeitsgruppe schweizweit keine genauen Zahlen vorliegen. Aber zumindest für den Kanton Zürich existieren Zahlen:

Ausschaffungen allein wegen Delinquenz im Kanton Zürich[8]

Die Richter haben offenbar nach Annahme der Ausschaffungs-Initiative immer mehr Fälle als Härtefälle eingestuft, damit die Einbrecher, Vergewaltiger und anderen Schwerverbrecher nicht das Land verlassen müssen. Die Praxis wurde also sogar aufgeweicht und nicht verschärft. Ist der Rechtsstaat wirklich in Gefahr, wenn wir Kriminelle konsequenter ausschaffen, oder ist nicht vielmehr der Rechtsstaat in Gefahr, wenn eine 2010 angenommene Verfassungsgrundlage von den Juristen und Politikern derart torpediert wird?

Die Delinquenz allgemein, auch die von Ausländern, hat leider nicht abgenommen. Polizisten stellen im Gegenteil eine zunehmende Brutalität fest. Schönzureden gibt es nichts. In der Schweiz hat man als Ausländer die allerbesten Chancen. Wer sie nicht nutzt, ist selbst dafür verantwortlich. Die Integrität der Menschen in diesem Land ist mir wichtiger als die Interessen und Befindlichkeiten der Täter. Daher sage ich mit Überzeugung Ja zur Durchsetzungs-Initiative.

 


[1] Diese Anmerkung wird jedes Jahr im Entscheid der Sozialbehörde auf Fortführung der Sozialhilfeleistungen wiederholt. Seine Kontoauszüge hat der Bezüger von sich aus regelmässig abzugeben.

[2] Die Sozialverwaltung verrechnet den nichtdeklarierten Betrag mit Geldleistungen aus Skos und hält sich so schadlos.

[3] 12 Monate x 5‘000 Franken Leistungen laut Skos-Richtlinien für einen 4-Personen-Haushalt.

[4] Bei legalen Arbeitsverhältnissen, die der Sozialbehörde verschwiegen werden, ist die nicht deklarierte Einkommenssumme aus dem Individuellen Konto der AHV ersichtlich. Jede Sozialverwaltung überprüft ihre „Kunden“ einmal jährlich auf dort abgerechnete AHV-Beiträge.

[5] Systematische Überwachung eines verdächtigen Sozialhilfeempfängers, wo auch rechtserhebliche Beweise resultieren sollen, lohnt sich in der Regel erst, wenn mindestens 6000 Fr. in den Sozialdetektiv investiert werden.

[6] Nach Skos-Richtlinien mindestens 2525 Fr. für diesen Einpersonen-Haushalt.

[7] 12 x 300 Fr. x 5 Jahre wurden nachgewiesen.

[8] Interpellation 232/2010 im Kantonsrat Zürich „Straftaten von Ausländern und Ausschaffungen“. Zahlen von 2012 bis 2014: SonntagsBlick vom 31. Mai 2015: „Die Schweiz wird ihre kriminellen Ausländer nicht los“.

Barbara Steinemann
Barbara Steinemann
Nationalrätin Watt-Regensdorf (ZH)
 
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