Referat

Ja zu „ 6 Wochen Ferien für alle“ – Gegen den Raubbau am Arbeitsplatz

Die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ wurde 2007 von Travail.Suisse, der unabhängigen Dachorganisation von 170’000 Arbeitnehmenden, zusammen mit dem Verband der Schweizerischen Polizeibeamten…

von Martin Flügel, Präsident Travail.Suisse, Bern (BE)

Die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ wurde 2007 von Travail.Suisse, der unabhängigen Dachorganisation von 170’000 Arbeitnehmenden, zusammen mit dem Verband der Schweizerischen Polizeibeamten VSPB lanciert. Die Unterschriften wurden von den Travail.Suisse angeschlossenen Arbeitnehmerverbänden und Gewerkschaften wie der Syna, transfair, Angestellte Schweiz, Hotel & Gastro Union etc. sowie dem VSPB gesammelt. Bei einer Annahme der Initiative wird der Ferienanspruch für das Jahr 2013 für alle Arbeitnehmenden auf den heutigen Durchschnitt von fünf Wochen angehoben. Danach erfolgt eine schrittweise Erhöhung auf sechs Wochen bis ins Jahr 2018.

Der Hauptgrund für unser Anliegen war und ist die gestiegene Belastung am Arbeitsplatz. Der gesetzliche Ferienanspruch beträgt in der Schweiz seit fast 30 Jahren vier Wochen. In diesen dreissig Jahren hat sich aber die Arbeitswelt massiv verändert. Der hohe Wettbewerbsdruck, die fortschreitende Globalisierung und rasante technische Entwicklungen haben die Wirtschaft schneller und härter gemacht. Der Termindruck ist gestiegen, das Arbeitstempo ist höher, Verschnaufpausen sind weggefallen und wir sind täglich 24 Stunden erreichbar.

Nun sind hohe Arbeitsbelastungen an sich noch nicht negativ. Sie haben aber je länger je mehr negative Folgen. Erstens macht die hohe Arbeitsbelastung häufig krank und kommt uns teuer zu stehen. Jeder dritte Erwerbstätige steht am Arbeitsplatz ständig unter Stress, sogar 80 Prozent stehen andauernd unter hohem Termindruck. Dieser Anteil ist in den letzten zehn Jahren um 10 Prozent gestiegen. Verschleisserscheinungen nehmen zu, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, chronische Schmerzen und Herz-Kreislauf-Probleme sind zu Volkskrankheiten geworden. Die Kosten der zu hohen Arbeitsbelastung schätzt das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco auf 10 Milliarden Franken pro Jahr (2 Prozent des BIP). Das ist zuviel.

Zweitens verdrängen flexible Arbeitszeiten und die totale Erreichbarkeit das Familienleben. Bei vielen Arbeitnehmenden wird das ganze Leben von der Arbeit dominiert. Die Belastung am Arbeitsplatz stresst Partnerschaft und Kinder. Schier unmöglich ist es geworden, sich freiwillig zu engagieren, im Dorf, im Quartier, in der Schule oder in Vereinen. Also Dinge zu tun, die mindestens so wichtig sind wie die Arbeit. Die hohe Belastung der Familien wird auch deutlich an den Umfrageergebnissen zur Initiative. Über 80 Prozent der Familien wünschen sich mehr als vier Wochen Ferien, fast 70 Prozent wollen der Initiative zustimmen. Zeit ist ein extrem wertvolles Gut für die Familien.

Drittens verkürzt die hohe Belastung das Erwerbsleben. Das Arbeitsleben ist ein Marathon, kein Sprint. Vom Einstieg ins Erwerbsleben bis zur Pensionierung dauert es 40 bis 50 Jahre. Wegen der steigenden Belastung am Arbeitsplatz können immer weniger Menschen bis zur Pensionierung arbeiten. Mit 63 Jahren ist nur noch die Hälfte der Menschen in der Schweiz erwerbstätig. Ungefähr 20 Prozent der Männer beziehen kurz vor der Pensionierung eine IV-Rente. Rund 40 Prozent der unfreiwilligen vorzeitigen Pensionierungen erfolgen aus gesundheitlichen Gründen. Diesen „Verschleiss“ an Arbeitskräften können wir uns nicht leisten. Aus demografischen Gründen droht uns sowieso bereits in absehbarer Zeit ein Mangel an Arbeitskräften. Wir müssen also Sorge tragen zu den Arbeitnehmenden, und zwar bevor es zu spät ist. Die Alternative dazu ist eine zusätzliche Einwanderung.

Kommt dazu, dass die Früchte der steigenden Arbeitsbelastung in den letzten zwanzig Jahren sehr ungleich verteilt wurden. Wir arbeiten und produzieren heute in der gleichen Zeit viel mehr als Anfang der 90er-Jahre. Zwischen 1992 und 2007 ist die Arbeitsproduktivität der Arbeitnehmenden in der Schweiz um mehr als 21 Prozent gestiegen. Die Reallöhne haben hingegen nur um gut 4 Prozent zugenommen. Die Differenz von 17 Prozent zeigt, dass wir heute in der Schweiz für den gleichen Lohn viel mehr leisten müssen. Eine Woche mehr Ferien ist also eigentlich bereits längst verdient.

Seit 1984 beträgt der gesetzliche Ferienanspruch vier Wochen. Dank guter Gesamtarbeitsverträge haben die Arbeitnehmenden in der Schweiz im Durchschnitt trotzdem fünf Wochen Ferien. Das Problem ist aber, dass einerseits weniger als die Hälfte der Arbeitnehmenden einem GAV unterstehen und dass andererseits die Ferienansprüche sehr ungleich verteilt sind. Gerade Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen und schwierigen Arbeitsbedingungen – wie Arbeit auf Abruf, Arbeit im Stundenlohn, Arbeit im Verkauf etc. – haben oft auch weniger Ferien. Berufe und Branchen mit besseren Löhnen oder vor allem auch Kaderangestellte hingegen haben oft bereits sechs oder sogar noch mehr Wochen Ferien. Die steigende Belastung trifft aber alle Arbeitnehmenden, so dass auch alle einen besseren Ausgleich nötig haben.

Zum Abschluss ein Blick auf die Kosten. Der durchschnittliche Ferienanspruch in der Schweiz beträgt heute fünf Wochen. Eine Woche mehr Ferien kostet ca. 2 Prozent der Gesamtlohnsumme, d.h. ca. 6 Mia. Franken. Dieser Betrag muss aber ins richtige Licht gerückt werden. Erstens ist ja das, was wir heute machen, auch nicht gratis. Die Kosten von Stress und Krankheiten wegen chronischer Überbelastung betragen jährlich 10 Mia. Franken. Zweitens dürften die Kosten eher tiefer liegen, weil ja viel gut verdienende Kader oder ältere Arbeitnehmende bereits heute mehr Ferien haben. Drittens verteilen sich die Mehrkosten wegen der Übergangsfrist bis 2018 auf fünf Jahre und sinken so auf 0.3 Prozent der Lohnsumme pro Jahr. Und nicht zuletzt sind ausgeruhte Arbeitnehmende gesünder, motivierter und damit auch produktiver. Die Investition in die Gesundheit und Motivation der Mitarbeitenden wird durch die steigende Produktivität längst wettgemacht.

Nachdem das Parlament alle anderen Vorschläge für mehr Erholung und Ausgleich abgelehnt hat, ist die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ der einzige Weg gegen den Raubbau am Arbeitsplatz und für eine gesündere Arbeitswelt mit leistungsfähigen und motivierten Menschen. Ich bitte sie deshalb um ein Ja zu unserer Initiative. Ein Ja für die Gesundheit, dank mehr Ausgleich zu Stress und Belastung am Arbeitsplatz. Ein Ja für die Familien, dank etwas mehr Zeit für Partnerschaft und Kinder. Ein Ja für die Fairness, dank einer gerechteren Beteiligung der Arbeitnehmenden am Produktivitätsfortschritt.

 
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