Referat

Wir sollten das Diktat Europas nicht stillschweigend hinnehmen

Als das Bundesgericht entschied, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte höher zu gewichten als das Schweizer Recht, hat es eines unserer grundlegenden politischen Rechte unterdrückt, das uns die direkte Demokratie einräumt: die Volksinitiative.

Céline Amaudruz
Céline Amaudruz
Nationalrätin Genève (GE)

Die Ausschaffung krimineller Ausländer beispielsweise wurde genau deshalb nicht umgesetzt, wie es Volk und Stände eigentlich entschieden hatten. Der Bundesrat und das Parlament haben es vorgezogen, eine entschärfte Version zu verabschieden. So wurde aus einem klar formulierten Text ein Gemisch, das viel Interpretationsspielraum zuliess, besonders in Bezug auf die Interessen der betroffenen Person. Dort, wo der Initiativtext die Ausschaffung des Straffälligen forderte, findet man nun Hintertüren, welche die Ausnahme zur Regel machen.

Selbst Bundesrätin Sommaruga fühlte sich verpflichtet, die Staatsanwälte daran zu erinnern, dass das Gesetz von Zeit zu Zeit doch eingehalten werden müsse. Und das will etwas heissen! Unabhängig von seinem Willen wird das Volk künftig, wenn seine Vorstellung mit einem internationalen Abkommen, einem Vertrag, einer Konvention oder anderen Vereinbarung im Widerspruch steht, nichts mehr zu melden haben. Selbst wenn eine Volksinitiative einen deutlichen Erfolg verzeichnet und damit einem klaren Volkswillen entspricht, mischt sich Bern ein und lässt verlauten, aus diesem oder jenem Grund könne der Gesetzestext nicht in seiner ursprünglichen Version umgesetzt werden, und es folgt eine aufgeweichte Version, die dem Joch angepasst ist, unter das sich die Schweiz begibt, indem sie alles ratifiziert, was auf internationaler Ebene vereinbart wird.

Unsere internationalen Abkommen kommen einem Rechtsgefängnis gleich, in das der Schweizer Bürger und die Kantone eingeschlossen werden und das sie zu Ausführenden von Absichten macht, die anderswo gehegt werden. Man sagt uns, diese Abkommen würden von der Schweizer Bevölkerung demokratisch unterstützt – das ist zwar richtig, aber schauen wir doch einmal das das Schengener Abkommen näher an: Frau Calmy-Rey, die damals für das Dossier verantwortlich zeichnete, hat während der gesamten Kampagne darauf bestanden, dass Artikel 4 im Falle einer Meinungsverschiedenheit einen Passus enthalte, der die Einsetzung eines gemischtes Ausschusses vorsehe, der die Aufgabe habe, nach Lösungen zu suchen. Heute ist keine Rede mehr von diesem gemischten Ausschuss, sondern es wurde jüngst ein Gesetzestext integral übernommen, der unserer Schiesstradition zuwiderläuft und sie mit einem Verwaltungs-Korsett einschnürt, das sie ersticken wird. Die Möglichkeit, bestimmte Klauseln des Vertrags zu ändern, besteht nur vor der Abstimmung, danach müssen die Bestimmungen stillschweigend übernommen werden.

Man sieht: Internationale Verträge sind ein Mittel, das eingesetzt wird, das Stimmrecht der Bürger nach und nach, ohne dass es auf den ersten Blick sichtbar wäre, abzuschaffen. Die nächste Etappe zeichnet sich mit dem Rahmenvertrag ab, der unbedingt mit der europäischen Union unterzeichnet werden soll. Beim Rahmenvertrag geht es letztlich darum, das europäische Recht direkt und automatisch in unsere Gesetzgebung zu übernehmen. Kurz: Hier geht es um das Ende der direkten Demokratie, wie wir sie kennen. Eine Verfassungsänderung per Volksinitiative oder ein Referendum hätten in der Praxis keine Wirkung mehr, denn wir wären verpflichtet, das Recht automatisch zu akzep­tieren, was uns Brüssel auferlegen möchte.

Ich bin in diesem Zusammenhang erstaunt, dass sich so viele politische Akteure ein derartiges demokratisches Debakel herbeiwünschen, welches sie von Gesetzgebern zu Abnickern macht. Wenn die Politik müde ist, die Verantwortung wahrzunehmen, die sie eingefordert hat, und sie stattdessen an verschiedene ausländische Behörden übertragen will, verdient sie es nicht besser.

Wir sind aus anderem Holz geschnitzt. Wir sind der Überzeugung, dass der Bürger der Gesetzgeber unseres Landes bleiben soll. Das beinhaltet auch, dass er das Recht hat, seine Meinung zu ändern, und zwar vor allem dann, wenn das, was ihm versprochen wurde, nicht dem entspricht, was er letztlich erhalten hat. Kommt hinzu, dass sich die Welt entwickelt. Das war früher so und ist auch heute so. Man muss folglich unsere Abkommen neuen Gegebenheiten anpassen können.

Es ist kein Zufall, dass die Masseneinwanderungs-Initiative erfolgreich war. Unsere Bevölkerung war sich sehr wohl bewusst, dass das ewige Glück, das die Urheber des Personenfreizügigkeitsabkommens ankündigten, ein paar Ungereimtheiten aufwies, die es zu korrigieren galt. Und jetzt? Keine Chance mehr, irgendetwas zu revidieren, glaubt man dem Bundesrat, ist das Abkommen für Jahrhunderte in Stein gemeisselt. Diese Sicht der Dinge beleidigt die Zukunft und vor allen die kommenden Generationen, denen man sagt, sie hätten keine Mittel und Wege mehr, die Fehler zu korrigieren, die wir mit dem unbedachten Abschluss von internationalen Abkommen begangen haben. Wir haben doch tatsächlich unsere demokratischen Rechte dazu verwendet, sie den kommenden Generationen zu entziehen. Vielen Dank!

Schlimmer noch – um die künftige Fügsamkeit der Schweizer Bevölkerung wirklich sicher­zustellen, wird die Einführung von Schiedsgerichten vorgesehen, die dafür eingesetzt werden, allfällige Streitfälle zwischen unserem Land und der Europäischen Union zu entscheiden. In der Praxis hätten diese Gerichte schlicht und ergreifend die Aufgabe, in juristischen Begriffen zu erklären, weshalb die Schweiz nicht Recht hat und das tun soll, was Brüssel verlangt.

Im August 1291 haben sich unsere Vorfahren gegen die Autorität ihres Herren aufgelehnt und sich dafür entschieden, ihre Zukunft auf autonome und demokratische Weise selbst zu bestimmen und in ihren Tälern keine fremden Richter mehr zuzulassen. Ihr Mut hat es uns ermöglicht, in der Schweiz zu leben, die wir heute haben. Wir geniessen hier immer noch mehr oder weniger erweiterte demokratische Rechte, die uns Freiheit, Föderalismus, Neutralität und Sicherheit gebracht haben.

Gegenwärtig will die Politik dieses Erbe verneinen und zurückkehren in den Schoss des «Römischen Reichs Deutscher Nation», in dem zahlreiche Mitglieder bestreiten, es habe den Imperialismus gegeben.

Am kommenden 25. November entscheiden wir auch über die Frage von Kühen mit Hörnern. Wenn unsere Selbstbestim­mungsinitiative von Volk und Ständen nicht angenommen wird, wird diese Art von Abstimmungsthemen das letzte sein, über das wir noch selber entscheiden dürfen, ohne dass irgendein Abkommen dazwischenfunkt. Die Europäische Kommission wird in dieser Frage nicht zurückstecken und uns eine x-te Vorschrift auferlegen, welche die Bauern umsetzen müssen, ob sie dies nun wollen oder nicht, denn für alles andere wird es dann zu spät sein.

Céline Amaudruz
Céline Amaudruz
Nationalrätin Genève (GE)
 
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