Die SVP lehnt die vorlegte Änderung des Strafgesetzbuches ab. Sie begrüsst zwar die Absicht des Bundesrates, das Ergebnis der Abstimmung zum Verhüllungsverbot vom 7. März 2021 und damit den Volkswillen mit einer entsprechenden Bestimmung im Strafgesetzbuch auch praktisch umzusetzen. Die nun vorgeschlagenen Ausnahmen sind aus Sicht der SVP in ihrer jetzigen Form aber inakzeptabel. Sie respektieren nicht die 51,2-prozentige Mehrheit des Stimmvolks, die sich am 7. März 2021 für ein Verhüllungsverbot ausgesprochen hat.
Am 24. März 2021 teilte der Vorstand der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren schriftlich Folgendes mit: Alle Kantone hätten sich drauf geeinigt, auf die Umsetzung von Art. 10a BV in den kantonalen Gesetzgebungen zu verzichten. Stattdessen würden sie es für angebracht halten, dass der Bund diese Aufgabe übernimmt. Der Weg für eine Umsetzung dieses Abstimmungsergebnisses war somit bereit – und zwar in einer Art und Weise, die auch dem Schweizer Föderalismus Rechnung trägt.
Die Wahl des Strafgesetzbuches als Ort der Umsetzung erscheint der SVP grundsätzlich sinnvoll. Denn das Strafgesetzbuch ermöglicht eine rasche Umsetzung des entsprechenden Verfassungsartikels. Ausserdem ist der ebenfalls von der Initiative betroffene Zwang zur Gesichtsverhüllung ebenfalls bereits im Strafgesetzbuch enthalten.
Unbefriedigende Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum
Was den Geltungsbereich des Verhüllungsverbots betrifft, so lehnt die SVP die vom Bundesrat vorgeschlagene Abgrenzung ab. Es ist nicht akzeptabel, dass das Verbot in Gemeinschaftsräumen von Mietshäusern nicht anwendbar sein soll. Betroffen davon wären beispielsweise Treppenhäuser, Waschküchen, Gemeinschaftsgaragen, Spielplätze und Gärten.
Mieter haben wie alle anderen ein Recht darauf, dass ein vom Volk demokratisch angenommenes Gesetz angewendet wird. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Begriff des Zusammenlebens zu verweisen, der auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anerkannt ist. Er gilt aus Sicht der SVP insbesondere auch für die erwähnten Gemeinschaftsräume von Miethäusern. Denn das vom EGMR geschützte Gut ist das Zusammenleben in einer liberalen und demokratischen Gesellschaft, und dies gilt insbesondere auch in diesem Rahmen.
Das Ziel der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» war u. a. die Verhinderung von Parallelgesellschaften. Dieses vom Volk bestätigte Ziel wird aus Sicht der SVP mit einer derart lückenhaften Anwendung der Strafnorm nicht erreicht. Denn, wenn sich Mieter nicht an das Verhüllungsverbot halten, werden rechtsfreie Räume geschaffen.
Das Volk ist auch klar gegen Gesichtsverhüllung bei Demonstrationen
Die Umsetzung des Verhüllungsverbots im Strafgesetzbuch entspricht zwar grundsätzlich den Erwartungen der Bevölkerung. Allerdings hat sich das Stimmvolk auch klar für ein Verhüllungsverbot bei Demonstrationen ausgesprochen, wie der Bundesrat in seinem Bericht (Ziff. 3.1.2) anerkennt. Dieser Aspekt hatte die öffentliche Debatte im Vorfeld der Abstimmung stark beschäftigt.
Auch hier akzeptiert die SVP eine gewichtige, im Entwurf vorgesehene Ausnahme nicht. Dabei geht es darum, dass Gesichtsverhüllungen im öffentlichen Raum zulässig sein sollen, wenn sie zur Ausübung der Meinungsäusserungs- oder Versammlungsfreiheit notwendig sind (Abs. 2, Bst. g). Dadurch kann das Verhüllungsverbot bei Demonstrationen aus Sicht der SVP faktisch nicht mehr durchgesetzt werden. Denn für die Strafverfolgungsbehörden wäre zu oft nicht ersichtlich, was unter die freie Meinungsäusserung fällt und was nicht.
Ein rein privates Interesse, sein Gesicht aus Angst vor Diskriminierung bei einer Demonstration nicht öffentlich zu zeigen, widerspricht aus Sicht der SVP klar dem Verhüllungsverbot. Und für Ordnungskräfte ist es unmöglich, a priori festzustellen, welche Demonstranten aus Angst vor „persönlichen Nachteilen“ (Ziff. 5.2.8.2) ihr Gesicht verhüllen. Eskaliert dann die entsprechende Demonstration – und es kommt beispielsweise zu Straftaten –, so könnten die Teilnehmer nicht mehr alle identifiziert werden.
Im Übrigen bieten die Ausnahmen für künstlerische und unterhaltende Darbietungen sowie für Darbietungen zu Werbezwecken dem Einzelnen bereits genügend Spielraum bezüglich der Grundfreiheiten.
Die SVP fordert daher, Art. 332a Abs. 2 Bst. g StGB zu streichen und Art. 332a Abs. 1 zu ändern, um den Anwendungsbereich auf Gemeinschaftsräume in Mehrfamilienhäusern auszudehnen.
Wir danken Ihnen für die Berücksichtigung unserer Stellungnahme und grüssen Sie freundlich.