Editorial

Selbstbestimmungs-Initiative als Rettungsanker der Volksrechte

Die parlamentarischen Beratungen zur Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative sowie die vorgezogene Gerichtspraxis zeigen, dass Volksentscheide nicht umgesetzt werden.

Andrea Geissbühler
Andrea Geissbühler
Nationalrätin Bäriswil (BE)

Die parlamentarischen Beratungen zur Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative sowie die vorgezogene Gerichtspraxis zeigen, dass Volksentscheide nicht umgesetzt werden. Dabei wird jeweils auf völkerrechtliche Bestimmungen verwiesen, welche Priorität hätten und wichtiger seien. Bundesbern lässt Volk und Stände munter abstimmen – foutiert sich in der Folge jedoch um den Entscheid des Souveräns. Die Selbstbestimmungs-Initiative will hier endlich einen Riegel schieben.

Der Kampf zur Ausschaffung krimineller Ausländer geht weiter

Volk und Stände nahmen am 28. November 2010 die Eidgenössische Volksinitiative „für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungs-Initaitive)“ an. Gleichzeitig lehnten alle Kantone und eine Mehrheit des Volkes einen Gegenentwurf des Parlaments ab. Dass Mitte-Links im Parlament am 20. März 2015 in der Schlussabstimmung eine Umsetzungsvorlage verabschiedet hat, welche sich an diesem Gegenentwurf orientiert, ist mittlerweile bekannt. Die Referendumsfrist läuft heute (9. Juli 2015) ab.

Die SVP musste das Referendum nicht ergreifen. Bereits im Vernehmlassungsverfahren war absehbar, dass das Parlament die Ausschaffungs-Initiative nicht in deren Sinn und Geist umsetzen würde. Deshalb hat die SVP mit der „Volksinitiative zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungs-Initiative)“ rechtzeitig reagiert. Das Parlament begann bereits im Rahmen der Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative mit allen Mittel, die Durchsetzungs-Initiative zu bekämpfen, auch mit formellen Tricks. So wurde gegen den Willen der SVP beschlossen, die Schlussabstimmung zur Durchsetzungs-Initiative auszusetzen. Die Folge dieses Schildbürgerstreichs ist, dass die Abstimmung zur Durchsetzungs-Initiative wohl kurz nach Inkraftsetzung der Umsetzungsgesetzgebung zur Ausschaffungs-Initiative erfolgen wird. Volk und Stände werden über die Durchsetzungs-Initiative voraussichtlich am 28. Februar 2016 oder am 5. Juni 2016 befinden, wogegen die Umsetzungsgesetzgebung voraussichtlich per 1. Januar 2016 in Kraft treten wird. Die Taktik von Bundesbern ist offensichtlich. Im Abstimmungskampf wird dereinst betont werden, dass das neue Recht im Bereich Ausschaffung eben erst in Kraft getreten sei und es derzeit keine weiteren Massnahmen brauche; vielmehr sei es nun angezeigt abzuwarten, wie sich die neuen Bestimmungen in der Praxis bewähren würden. Ich bin aber überzeugt, dass Volk und Stände diesen Plan durchschauen werden und die Durchsetzungs-Initiative annehmen werden. Nur deren Bestimmungen garantieren eine effektive Ausschaffung krimineller Ausländern.

Härtefallklausel verhindert Ausschaffung

Eine Parlamentsmehrheit aus Mitte-Links baute – gegen den Willen der SVP – in die Umsetzungsgesetzgebung zur Ausschaffungsinitiative die sogenannte „Härtefallklausel“ ein. Hiernach kann das Gericht bei der „obligatorischen Landesverweisung“ – welche schwere Vergehen und Verbrechen umfasst – von einer Landesverweisung absehen, wenn „diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen; dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind“. Bei anderen Vergehen und Verbrechen soll das Gericht berechtigt sein, einen Landesverweis auszusprechen. Dass diese Umsetzung inhaltlich nicht mehr viel mit dem Gedanken der Ausschaffungs-Initiative zu tun hat, ist offensichtlich. Das Gericht findet in jedem Fall eine Begründung, um von einem Landesverweis abzusehen.

Beispiel: Secondo als notorischer Straftäter

Im Dezember 2014 hat das Berner Verwaltungsgericht gegenüber einem 33-jährigen Italiener einen Landesverweis ausgesprochen, obwohl dieser in dritter Generation in der Schweiz wohnt (seine Grosseltern sind eingewandert) und sein Heimatland nur von den Ferien her kennt. Der Grund: Der Mann ist ein notorischer Straftäter. Er ist 1981 in der Schweiz geboren und hat folgende Straftaten vorzuweisen: Im Jahr 2004: Tierquälerei; im Jahr 2007: gewerbsmässiger Diebstahl, qualifizierter Raub, mehrfache Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Raufhandel, Anstiftung zur Brandstiftung, Versicherungsbetrug, Hehlerei; im Jahr 2011: Drogendelikte, Pornografie, Verstösse gegen das Waffengesetz und erneut Tierquälerei. Die Härtefallklausel würde es in solchen Fällen ermöglichen, von einem Landesverweis abzusehen, denn der Italiener lebt in der dritten Generation in der Schweiz, spricht perfekt Mundart, ist mit einer Schweizerin verheiratet und hat in Italien nur entfernte Verwandte, zu denen er keinen Kontakt hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, doch nach neuem Recht, würde das Gericht von einem Landesverweis wohl absehen.

Selbstbestimmungs-Initiative als zentrales Element aller Volksinitiativen

Am Beispiel der Ausschaffungs-Initiative sowie der Durchsetzungs-Initiative ist gut erkennbar, weshalb es die Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)“ braucht. Ziel der Selbstbestimmungs-Initiative ist, den Volksrechten wieder zum Durchbruch zu verhelfen, was jeder Volksinitiative zugutekommen wird, egal aus welchem Lager diese stammt. Nachdem Volk und Stände einer Volksinitiative zugestimmt haben – also beispielsweise der Ausschaffungs-Initiative, soll diese neue Verfassungsbestimmung nicht zwingenden internationalen Abkommen vorgehen. Bei einem Widerspruch zwischen der neuen Verfassungsbestimmung und einem internationalen Vertrag, wäre dieser somit anzupassen oder zu kündigen. Dass das Initiativ-Recht ansonsten zur Makulatur verkäme, hat das Bundesgericht im Urteil vom 12. Oktober 2012 (2C_828/2011) bereits bestätigt. Darin hat das Bundesgericht in einem Prozess betreffend dem Widerruf der Niederlassungsbewilligung (was einem Landesverweis gleichkommt) ausgeführt, dass die Annahme der Ausschaffungs-Initiative nichts daran ändere, dass völkerrechtliche Bestimmungen der Bundesverfassung grundsätzlich vorgehen. Bei den meisten Volksinitiativen ist ein Widerspruch zu internationalen Bestimmungen auszumachen. Würde diese Auffassung mittels  Selbstbestimmungs-Initiative nicht gekippt, wäre dies formell das Ende dieses direktdemokratischen Rechts. Bundesbern würde weiterhin sagen: Stimmt nur mal ab, umgesetzt wird das Ergebnis sowieso nicht. Die SVP sagt dazu ganz klar: So, nicht! oder: Selbstbestimmungs-Initiative, ja!

 

 

Andrea Geissbühler
Andrea Geissbühler
Nationalrätin Bäriswil (BE)
 
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