Die Interessen der Schweiz wahren

Wer entscheiden muss, wohin er will, der muss sich daran erinnern, woher er kommt und wer er ist. Wer seine Interessen wahren will, der muss zuerst seine Interessen kennen. Das gilt auch für unser…

Ueli Maurer
Ueli Maurer
Bundesrat Wernetshausen (ZH)

Wer entscheiden muss, wohin er will, der muss sich daran erinnern, woher er kommt und wer er ist. Wer seine Interessen wahren will, der muss zuerst seine Interessen kennen.

Das gilt auch für unser Land. Unser Land steht vor wichtigen Entscheidungen, besonders in der Aussenpolitik. Darum ist es wichtig, dass wir uns in Erinnerung rufen, was unser Land auszeichnet, was uns besonders macht. Und vor allem auch: Worauf unser Erfolg beruht.

Die Schweiz gründet auf fünf Staatsprinzipien: Freiheit. Föderalismus. Bewaffnete Neutralität. Direkte Demokratie. Unabhängigkeit.

Diese Grundsätze stehen für die freiheitliche Ordnung unseres Landes. Und wer sich zu dieser freiheitlichen Ordnung bekennt, der muss auch diese Grundsätze verteidigen.

Die Interessen der Schweiz wahren, das heisst also: für die direkte Demokratie eintreten, den Föderalismus pflegen, an der bewaffneten Neutralität festhalten, die Freiheit und die Unabhängigkeit verteidigen.

• Freiheit
Ich beginne mit der Freiheit. Denn die Freiheit des Bürgers steht bei uns im Zentrum. Seit jeher. Schweizer Geschichte ist Freiheitsgeschichte. Freiheit ist unser Staatszweck; unser Staat ist da, um die Freiheit der Bürger zu schützen.

Möglichst wenig Vorschriften. Möglichst wenig Verbote. Dafür möglichst viel Raum, damit sich der Bürger entfalten kann. Sei es privat oder beruflich. Das ist unser Rezept für Lebensqualität und Wohlstand.

Freiheit, das ist darum wie ein Synonym für die Schweiz. Die Schweiz war immer freiheitlicher als andere. Schon vor Jahrhunderten gab es den Begriff der „Schweizer Freiheit“. Unsere Freiheit hat uns immer wieder Neid, Missgunst und Kritik eingetragen. Aber auch viel Bewunderung. Und vor allem hat sie unseren einmaligen Erfolg möglich gemacht. Die kleine Schweiz ist vom armen Land ohne Rohstoffe zu einem der reichsten Länder der Welt geworden.

Unsere Freiheit müssen wir immer wieder verteidigen. Gegen Anmassungen von innen wie von aussen. Natürlich gibt niemand zu, dass er uns Freiheit wegnehmen will. Ein gut tönender Vorwand muss herhalten: Mehr Gerechtigkeit zum Beispiel. Oder mehr Effizienz. Oder es heisst einfach, wir müssten mit der Zeit gehen.

Aber meistens kann man das so übersetzen: Mehr Gerechtigkeit heisst mehr Gesetze, mehr Umverteilung und höhere Steuern. Mehr Effizienz ist Bundesbernerdeutsch für mehr Staatspersonal. Und mit der Zeit gehen, das heisst Souveränität ans Ausland abtreten.

Wenn diese Ausreden nicht verfangen, dann heisst es, wir müssen dem Druck von aussen nachgeben. Im Waffenrecht sind es Schengen- und UNO-Bestimmungen, beim biometrischen Pass Schengen und die USA, bei Privatsphäre und Bankkundengeheimnis die EU, die USA und die OECD usw… Da tauchen alle denkbaren Buchstabenkombinationen auf, die das Alphabet bieten kann …

Diese Entwicklung liegt nicht im Landesinteresse: Den Verlust an Freiheit werden wir doppelt zu spüren bekommen. Zuerst durch immer mehr Einschränkungen und Verbote im Alltag, längerfristig aber auch durch einen Verlust an Wohlstand.

• Föderalismus
Das zweite Prinzip ist der Föderalismus. Der Föderalismus ist unser bewährtes Rezept für eine schlanke Organisation und eine bürgernahe Verwaltung. Dort, wo sich ein Problem stellt, dort wird es auch gelöst. Durch die Betroffenen, durch die Leute, welche die Situation kennen und die nachher mit der Lösung auch leben müssen. Das verhindert weltfremde Entscheide.

Aber mit dem Föderalismus geht es wie mit der Freiheit. Er wird nicht offen angegriffen, sondern schrittchenweise ausgehöhlt. Die gravierendste Einschränkung kantonaler Hoheit der letzten Jahre nannte sich sanft Föderalismusreform. Und so viele Vorstösse im Parlament, so viele Geschäfte im Bundesrat bringen irgendwo zwischen den Zeilen mehr Zentralismus.

Die Anweisung von weit oben und von weit weg ersetzt den demokratischen Beschluss der Gemeinden und Kantone. Und auf internationaler Ebene setzt sich die Tendenz fort – die Kompetenz, die der Kanton an Bern delegiert, delegiert Bern an Brüssel …

So entscheidet dann irgend ein sogenannter Komitologie-Ausschuss der EU (aufgrund des Abkommens von Schengen) beispielsweise über die Einreisekontrollen an unseren Flughäfen oder die Zugriffsberechtigung auf gespeicherte Bürgerdaten der Behörden. Wer im Ausschuss Einsitz hat, das wissen wir nicht so genau; sicher wissen wir nur, dass die Schweiz dort kein Stimmrecht hat.

Auch diese Entwicklung liegt nicht im Landesinteresse: Traditionell gewachsene Eigenheiten werden eingeebnet; lokal abgestützte Besonderheiten aufgegeben. Mehr Zentralismus bringt starre Regelungen und weniger Flexibilität. Vielfalt wird durch Einfalt ersetzt.

• Bewaffnete Neutralität
Das dritte Prinzip ist die bewaffnete Neutralität. Die Schweiz ist ein Kleinstaat. Ein Kleinstaat übernimmt sich, wenn er Grossmachtspolitik betreiben will. Und denken wir daran: Weltpolitik ist kein Spiel, da geht es um Leben und Tod von Soldaten, da geht es um die Existenz von Staaten.

Die Schweiz hat darum eine kluge Überlebensstrategie gewählt; und das schon vor Jahrhunderten, nach der Niederlage von Marignano: Die bewaffnete Neutralität. Wir haben eine Armee, um uns verteidigen zu können. Aber in fremde Konflikte mischen wir uns nicht ein.

Ergänzt haben wir die bewaffnete Neutralität durch die Guten Dienste. Die Schweiz vermittelt und stellt ihren Boden für Friedenskonferenzen zur Verfügung. Auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt findet man keine Schweizer Soldaten, sondern Schweizer Helfer.

Die Politik der bewaffneten Neutralität und der Guten Dienste hat uns Sicherheit und weltweit Sympathien gebracht.

In den letzten Jahren allerdings erschien die bewährte Neutralität vielen in Politik und Verwaltung als zu kleingeistig. Weil aber die Neutralität in Umfragen bei der Bevölkerung immer höchste Zustimmung erzielt, setzen die Neutralitätskritiker nicht auf Konfrontation, sondern auf Erosion.

Beschönigend sprechen sie von flexibler oder aktiver Neutralität. Also ein wenig neutral sein und doch ein wenig bei den Grossen mittun. Das geht nicht: Wir sind dann vielleicht flexibel und aktiv, aber sicher nicht mehr neutral.

Gerade in meinem Departement hatte das Mitmachen um jeden Preis schwerwiegende Auswirkungen. Die Begeisterung über die internationale Zusammenarbeit war manchmal so gross, dass dabei fast die Schweiz vergessen ging. Mit den letzten Armeereformen etwa hat man die Organisationsstruktur geändert, um uns kompatibel mit andern Armeen zu machen. Sogar Reglemente wurden auf Englisch übersetzt.

Selbstverständlich ist auch diese Entwicklung nicht im Landesinteresse: Vorschnelle und unnötige Parteinahmen gefährden unseren guten Ruf als friedliche Helfer. Und damit auch unsere traditionelle Weltoffenheit. Denn die Neutralität ist alles andere als eine Igel-Politik; die Neutralität öffnet uns Türen auf der ganzen Welt und trägt uns Achtung ein.

• Direkte Demokratie
Das vierte Prinzip ist die direkte Demokratie. Sie unterscheidet unser Land ganz wesentlich von andern Ländern. Sie gibt unserer Demokratie eine besondere Qualität. Und dem Bürger eine besonders starke Stellung. Wir wählen nicht einfach nur alle vier Jahre ein neues Parlament oder eine neue Regierung.

Die Schweizer Bürger bestimmen mit Referendum und Initiative direkt über Verfassungsänderungen und über die wichtigen Gesetze. Denn in der Schweiz ist das Volk der Souverän. Alle Bürger zusammen sind die oberste Instanz in diesem Land.

Auch dieses Prinzip wird fortlaufend ausgehöhlt. Ausgehöhlt durch die immer stärkere völkerrechtliche Einbindung der Schweiz. Ein schwammiges Völkerrecht wird immer öfter über unser eigenes Recht gestellt.

Das schwammige Völkerrecht ist die Waffe der politisierenden Juristen: Sie können es so auslegen, wie es ihnen passt.

Und was ihnen passt, das sehen wir, wenn sie sich in Abstimmungskämpfe einmischen. Nicht als Bürger, das wäre ihnen unbenommen. Sondern als Schiedsrichter, die anstelle des Volkes über richtig und falsch entscheiden wollen.

Und mit dem sogenannten Völkerrecht versuchen sie sogar, gegen Volksentscheide vorzugehen. Das haben wir bei der Verwahrungsinitiative erlebt und später wieder bei der Minarettinitiative. Und ich bin besorgt darüber, was aus dem Volksentscheid zur Ausschaffungsinitiative wird.

Diese Entwicklung ist nicht im Landesinteresse: Richter, Professoren und Verwaltungsjuristen sind Bürger, wie wir alle. Sie haben bei Abstimmungen eine Stimme, wie wir alle. Es ist absolut undemokratisch, wenn sich Einzelne anmassen wollen, mit ihrer Interpretation des schwammigen Völkerrechts den Entscheid der Mehrheit umzustossen. In unserer Demokratie kann darum nur gelten: Die Volksrechte stehen über dem Völkerrecht!

• Unabhängigkeit
Das fünfte Prinzip ist die Unabhängigkeit. Sie ist der schützende Rahmen für die andern Prinzipien; für die Freiheit, den Föderalismus, die bewaffnete Neutralität, die direkte Demokratie.

Auch die Unabhängigkeit wird schleichend relativiert. Die Schweiz geht fortlaufend neue vertragliche Verpflichtungen ein. Jährlich schliesst die Schweiz hunderte von internationalen Verträgen ab. Natürlich sind nicht alle diese vielen Verträge gegen unsere Interessen. In jedem Fall ist jedoch daran zu denken, dass jeder Vertrag eine Bindung, eine Verpflichtung bedeutet. Und mit jeder Bindung wird der eigene Handlungsspielraum enger, die Freiheit also kleiner.

Das mag manchmal durchaus gerechtfertigt sein, es ist aber wichtig zu prüfen, was die Gegenleistung für den Spielraumverlust ist – es ist ein wenig so, wie es Schiller für die Heirat geschrieben hat: Drum prüfe, wer sich ewig bindet … Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang (Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke).

Dass die Schweiz ihre Bindungen nicht immer gut genug prüft, zeigen die Zuwanderungszahlen.

Das Unbehagen steigt. Sogar jene, die noch vor kurzem die ungebremste Einwanderung in den höchsten Tönen lobten, klagen heute plötzlich über steigende Mieten, stagnierende Löhne und eine Zubetonierung unserer schönen Landschaft. Immer weniger lässt sich wegdiskutieren, dass es in einem kleinen Land Grenzen des Bevölkerungswachstums geben muss.

Das Unbehagen steigt aber vor allem auch deshalb, weil jetzt immer mehr Leute merken, dass wir unsere Einwanderungspolitik zu einem grossen Teil gar nicht mehr selbst bestimmen können. Der Aufenthalt von EU-Bürgern in unserem Land ist durch das Personenfreizügigkeitsabkommen geregelt. Und die Einreise in unser Land richtet sich nach den Visum-Bestimmungen von Schengen. Mit andern Worten: Wir haben den Griff der Notbremse aus der Hand gegeben!

Wenn wir nicht für uns schauen, dann schaut niemand für uns
Freiheit. Föderalismus. Bewaffnete Neutralität. Direkte Demokratie. Unabhängigkeit. Das sind die Pfeiler unserer freiheitlichen Ordnung. Und damit auch die Grundlage unseres Wohlstandes, unserer Lebensqualität, unseres Erfolges.

Die Interessen der Schweiz wahren, das heisst, konsequent für diese Pfeiler der freiheitlichen Ordnung einzustehen. Mit Ausdauer, Mut und Selbstvertrauen.
Viel zu lange haben wir uns ein schlechtes Gewissen einreden lassen. Es hiess, wir seien Trittbrettfahrer und Rosinenpicker. So als wären die Rosinen ganz selbstverständlich für andere reserviert. Und wir seien verpflichtet, bittere Pillen und jede Kröte zu schlucken.

Dabei ist es doch das Natürlichste der Welt, dass man die eigenen Interessen vertritt. Das ist ja gerade der Zweck von Verhandlungen. Beide Parteien wollen das Beste für sich herausholen. Genau aus diesem Grund wird verhandelt.

Das machen Sie privat ja nicht anders. Wenn Sie nach einem Rabatt fragen oder ein schlechtes Angebot ausschlagen, tun Sie nichts Verwerfliches. Sie sind ganz einfach nur vernünftig: Sie vertreten sich selbst und nicht die Gegenseite. Wenn Sie das nicht tagtäglich tun würden, wären Sie schon lange ruiniert. Man würde an Ihrer Lebenstauglichkeit und an Ihrem Verstand zweifeln. Solche Fälle werden in der Regel unter die Obhut eines Vormundes gestellt.

Der Grundsatz ist einfach: So wie jeder von uns seine persönlichen Interessen wahrnimmt, muss auch unser Land seine Interessen wahrnehmen. Wenn wir nicht für uns schauen, dann schaut niemand für uns.

Selbstverständlich sind wir mit allen friedlich und korrekt, aber die Schweiz muss für uns zuerst stehen. Gottfried Keller hat es im Fähnlein der sieben Aufrechten schön poetisch formuliert: „Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe.“

Und dasselbe sagt unsere Verfassung. Ganz zuvorderst. Im zweiten Artikel. Der ist überschrieben mit „Zweck“. Da geht es also um den Staatszweck der Schweiz. Wir lesen im ersten Absatz:

„Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.“

Dem ist nichts beizufügen – Wir müssen es nur umsetzen!

 

Ueli Maurer
Ueli Maurer
Bundesrat Wernetshausen (ZH)
 
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