Landesverteidigung: Ein Grundpfeiler unserer Unabhängigkeit

Ich muss Sie vor einem weit verbreiteten Irrtum warnen. Viele glauben, wir stimmen am 18. Mai über ein Kampfflugzeug ab. Das trifft aber nur vordergründig zu. Es geht um sehr viel mehr.

Ueli Maurer
Ueli Maurer
Bundesrat Wernetshausen (ZH)

Ich muss Sie vor einem weit verbreiteten Irrtum warnen. Viele glauben, wir stimmen am 18. Mai über ein Kampfflugzeug ab. Das trifft aber nur vordergründig zu. Es geht um sehr viel mehr. Wir stimmen über nichts weniger als über die Unabhängigkeit und Sicherheit unseres Landes ab.

Ich will dazu verschiedene Fakten klären und den grösseren Zusammenhang herstellen, der in den vergangenen Monaten bewusst vernebelt wurde:

Politische Ausgangslage

Darum zuerst einige Worte zur politischen Konstellation:

Es gab bei uns immer politische Kräfte, die nichts von einer freien Schweiz halten, die sich selbst verteidigen kann. Das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichte.

Wir hatten eine pazifistische Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg, die im Sommer vor hundert Jahren plötzlich und brutal aus ihren Friedensträumen gerissen wurde.

In den 1920er-Jahren traten die Sozialdemokraten nicht mehr für die Armee ein. Obschon ab 1933 Hitler an der Macht war und massiv aufrüstete, dauerte es noch bis 1935, bis sie sich endlich wieder zur Landesverteidigung bekannten.

Nach dem Fall der Berliner Mauer nahmen die Armeegegner einen neuen Anlauf. Mit einer Volksinitiative wollten sie unsere Armee abschaffen.

Wir sehen: Es gibt seit jeher Kreise, die aus ideologischen Gründen unsere unabhängige Schweiz und unsere bewaffnete Neutralität ablehnen. Daran hat sich über all die Jahre hinweg nichts geändert.

Worum es wirklich geht

Was sich aber geändert hat, ist ihre Taktik: Die Armeegegner wissen, dass die Schweizer Bevölkerung sich bei Abstimmungen immer zugunsten der Armee entschieden hat. Darum treten sie heute nicht mehr offen und ehrlich für ihre Ziele ein. Sie stellen die Landesverteidigung nicht mehr direkt in Frage, sie schieben andere Gründe vor. Sie versuchen, die Armee auf Umwegen so zu schwächen, bis diese ihre Glaubwürdigkeit verloren hat.

Die Abstimmung über den Gripen ist schon der dritte Versuch in kurzer Zeit: 2011 stimmten wir über die „Initiative für den Schutz vor Waffengewalt“ ab. Vordergründig ging es um den Waffenbesitz, in Wirklichkeit ging es um die Landesverteidigung. Letztes Jahr versuchten Armeegegner, die Wehrplicht abzuschaffen. Vordergründig ging es um das Dienstpflichtmodell, in Wirklichkeit ging es um die Landesverteidigung. Und jetzt versuchen Armeegegner, den Gripen und damit eine zeitgemässe Bewaffnung unserer Armee zu verhindern. Vordergründig geht es um ein Flugzeug, in Wirklichkeit geht es auch hier um die Landesverteidigung.

Bis jetzt hat das Volk die versteckte Absicht der Armeegegner durschaut und die getarnten Angriffe auf unsere Armee blieben chancenlos.

Notwendige Klarstellungen

Dieses Mal führen die Armeegegner aber eine besonders perfide Kampagne. Sie ist schon lange lanciert. Sie läuft schon seit über einem Jahr. Mit allen Mitteln werden Zweifel gesät: Zuerst am Auswahlverfahren, dann am Flugzeug selbst.

Wer nicht zugeben will, dass er gegen die Armee ist, der sagt, der Flieger sei zu teuer, es sei die falsche Typenwahl oder wir bräuchten überhaupt keinen neuen Kampfjet … Alle diese Einwände gehen aber daneben.

Zum Preis: Der Gripen ist im Vergleich zu anderen Typen klar günstiger; das Preis-Leistungsverhältnis ist hervorragend. Und beachten wir die Relationen: Auf die Lebensdauer von 30 Jahren gerechnet kostet uns der Gripen gut 100 Millionen Franken pro Jahr. Im Verhältnis zum Bundesbudget 2015 sind das 1.5 Promille. Auf hundert Franken Staatsausgaben bezahlen wir also 15 Rappen für den Gripen. Dann kommen jedes Jahr noch Betriebs- und Unterhaltskosten in etwa gleicher Höhe dazu, das sind dann im Verhältnis nochmals rund 15 Rappen.

Zudem wird der Kauf vollständig aus dem Budget der Armee finanziert. Wir geben mit dem Gripen keinen einzigen Steuerfranken zusätzlich aus. Kosten-Argumente gegen die Beschaffung sind schlicht falsch und unehrlich.

Zur Typenwahl: Wir haben den Gripen in einem langen, sorgfältigen Verfahren ausgewählt. Er ist das Flugzeug, das ideal auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist. Wir brauchen als neutrales Land keinen Jet, der Angriffe mit Atomwaffen fliegen kann – wir brauchen ein modernes Flugzeug, das unserem Land für alle denkbaren Bedrohungen einen sicheren Schirm gibt. Dafür ist der Gripen perfekt geeignet.

Einsatzfähige Armee

Und jetzt zur Notwendigkeit: Wir dürfen nie vergessen, worum es bei der Armee geht. Es geht um Sicherheit. Es geht um unsere staatliche Unabhängigkeit. Und es geht um Menschenleben. Die Behauptung, die alten Tiger würden es auch noch tun, ist schlicht verantwortungslos und fahrlässig.

Wir erwarten von unseren Soldaten ein unglaubliches Opfer. Im Ernstfall verlangen wir von ihnen, ihr Leben für unser Land zu riskieren. Da muss man doch immerhin bereit sein, ihnen die besten Waffen zu geben.

Die Tiger haben einen jahrzehntealten Technikstand und sind in der Nacht nicht flugtauglich. Das heisst, man zwingt unsere Piloten, mit veralteten Maschinen in den Einsatz zu gehen. Damit würden wir sie im Ernstfall auf ein Himmelfahrtskommando schicken. Und nicht nur das: Als Land müssten wir für die vernachlässigte Luftwaffe mit toten oder verletzten Soldaten und Zivilisten auch am Boden bezahlen.

Wie wichtig die Luftwaffe ist, haben uns die Konflikte der letzten Jahre immer wieder gezeigt. Häufig hat die Luftüberlegenheit sogar über Sieg oder Niederlage entschieden. Kampfflugzeuge sind darum ein wesentliches Element jeder Armee. Fehlt dieses Element, verliert die ganze Armee ihre Einsatzfähigkeit. Denn niemand kann verantworten, im Ernstfall Soldaten ohne modernen Luftschirm in den Einsatz zu schicken.

Sehen Sie sich dieses Haus an: Wände, Türen, Fenster; alles ist intakt. Aber das nützt nichts. Denn das Dach fehlt. Darum ist das ganze Haus unbrauchbar und wertlos. Die investierte Arbeit und das investierte Geld sind verloren, weil mit dem Dach ein wichtiger Bestandteil fehlt. Das Haus ist ohne Dach kein richtiges Haus, es ist eine Ruine.

So ist es auch mit der Armee. Die Armee ist ein Ganzes. Fehlt ein wichtiger Bestandteil, kann sie ihre Aufgabe nicht erfüllen. Da hilft es auch nichts, wenn andere Truppenteile gut ausgerüstet und gut ausgebildet sind.   

Wenn unserer Armee die zeitgemässe Ausrüstung in der Luft verweigert wird, ist das letztlich nichts anderes als eine getarnte Armeeabschaffung in Raten. Und das ist genau das, was die Armeegegner wollen.

Souveränität und bewaffnete Neutralität

Wir stehen also nicht vor einer Abstimmung über ein Flugzeug. Wir stehen vor einem Richtungsentscheid: Wollen wir eine Armee, die in jeder Hinsicht genügend gut ausgerüstet ist, damit wir sie im Notfall auch einsetzen können? Dann brauchen wir konsequenterweise auch einen modernen Luftschirm.

Oder geben wir freiwillig die Fähigkeit auf, unsere Souveränität und Sicherheit zu bewahren? Das wäre ein Schritt hin zur Selbstaufgabe – mit verhängnisvollen aussenpolitischen Folgen: Unsere bewaffnete Neutralität wäre nicht mehr glaubwürdig. Damit würde die Versuchung zunehmen, uns stärker an einen Machtblock anzulehnen. So würden wir in den Sog der internationalen Machtpolitik geraten. 

Es ist ja schon heute so, dass unser Land unter Druck immer wieder zu Konzession gezwungen wird. Dieser Druck würde noch zunehmen, wenn wir uns im Bereich der Sicherheit in fremde Abhängigkeit begeben würden. Denn es ist eine Illusion zu glauben, irgend jemand würde jemals unseren Luftraum sichern, ohne von uns Gegenleistungen einzufordern.

Nun ist die Abhängigkeit bei der Sicherheit aber noch besonders schwerwiegend. Man wird zum Satelliten einer Grossmacht oder eines militärischen Bündnisses. Und damit zur Partei in der Weltpolitik. Dann bleibt nichts anderes, als fremdbestimmt eine Interessen- und Konfrontationspolitik mitzutragen, die man eigentlich gar nicht will.

Gerade die letzten Wochen haben uns wieder einmal deutlich gezeigt, wie schnell Gegensätze und Konflikte aufbrechen. Und wer es vergessen hat, der wurde jetzt wieder daran erinnert, dass alle Grossen immer harte Interessenspolitik betreiben. Es hat sich bewährt, jeweils nach allen Seiten hin eine gewisse Distanz zu halten. So konnten wir schon oft als ehrlicher Friedensvermittler wirken. Die bewaffnete Neutralität bleibt darum hochaktuell. Das gibt dieser Abstimmung auch eine staatspolitische Dimension, die bisher noch viel zu wenig beachtet wurde.

Sie sehen: Es geht am 18. Mai um sehr vieles, nur nicht um Flugzeugtypen. Es geht darum, ob unser Land eine einsatzfähige Armee haben will, ob es seine Unabhängigkeit bewahren kann, ob es an der bewährten bewaffneten Neutralität festhält, wie es sich aussenpolitisch positioniert – Es geht darum, ob wir weiterhin noch halten können, was wir im Zweckartikel der Bundesverfassung versprechen:

„Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.“

Ueli Maurer
Ueli Maurer
Bundesrat Wernetshausen (ZH)
 
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