Dublin – keine funktionierende Lösung für das Asylproblem

Yvan Perrin
Yvan Perrin
Nationalrat La Côte-aux-Fées (NE)

Wenn sich in Bezug auf Schengen von Anfang eine gehörige Portion Skepsis mit unter die Diskussion um dieses Abkommen mischte, so kam sein Zwilling, das Dubliner Erstasylabkommen, stets viel besser weg. Für viele bedeutet Dublin noch heute die Lösung für unser Asylproblem. Weil Dublin nur zusammen mit Schengen zu haben ist, sind offenbar viele bereit, die gravierenden Nachteile von Schengen für dieses Abkommen in Kauf zu nehmen. Vor solch einem fatalen Fehler ist nachdrücklich zu warnen. Dublin löst das Asylproblem nicht, und es verliert in der EU zunehmend an Bedeutung.

Was beinhaltet das Dubliner Abkommen?

Das Schengener Durchführungsabkommen, welches 1995 in Kraft trat, sieht bekanntlich den Wegfall der Grenzkontrollen vor. Damit waren auch Ausgleichsmassnahmen erforderlich, die (neben der Visa- und polizeilichen Zusammenarbeit) auch Regelungen für die Zuständigkeit zur Durchführung von Asylverfahren betrafen. Diese vorerst im Schengener Durchführungsabkommen geregelten Massnahmen wurden mit dessen Inkrafttreten am 1. September 1990 durch das Dubliner Abkommen abgelöst.

Das Dubliner Abkommen bezweckt ein europaweit einheitliches Vorgehen bei der Behandlung von Asylgesuchen. Mit diesen Massnahmen soll im Prinzip erreicht werden, dass Asylbewerber in demjenigen Schengen-Land Asyl beantragen müssen, in welches sie zuerst einreisen. Damit soll die Durchführung eines zweiten Asylverfahrens in einem anderen Vertragsstaat vermieden werden. Reist also ein Asylsuchender in Italien ein und beantragt in Deutschland Asyl, kann er nach Italien zurückgeschickt werden.

Theorie und Praxis

Da bekanntlich die meisten Asylbewerber über einen Mittelmeerstaat oder von Osten her nach Europa kommen, müssten mit dem Dubliner Abkommen „entferntere“ Schengen-Länder weniger Asylsuchende erhalten. Auch unser Bundesrat rechnet damit, dass mit Dublin in der Schweiz rund 20 Prozent weniger Asylgesuche gestellt würden. Leider erweist sich dies als reines Wunschdenken.

Nur allzu schnell musste dies auch das Nicht-EU-Mitglied Norwegen erkennen. Norwegen trat dem Schengener Abkommen im Jahre 1996 mit einem Assoziationsabkommen bei – so, wie es nun auch für die Schweiz vorgesehen ist. Um in Norwegen ein Asylgesuch stellen zu können, müssen Asylbewerber ganz Europa durchqueren. Trotzdem ist in Norwegen, im Jahre 2001 die Zahl der Asylbewerber um 36 Prozent angestiegen. Erklärt wird dies denn auch ganz offiziell mit der Öffnung der Grenzen. Auch in Deutschland stieg die Zahl der Asylbewerber aus dem Nordirak im Jahre 1998 drastisch an. Die Asylbewerber, logischerweise über Griechenland und Italien her kommend, hatten sich erst in der Bundesrepublik als Asylbewerber gemeldet, ohne dass sie in Griechenland oder Italien registriert worden wären. In Deutschland konnte das Dubliner Abkommen im Jahre 1998 auf 3,5 und im Jahre 2002 auf nur gerade 6,6 Prozent der Asylbewerber angewendet werden. In anderen Staaten sind die Zahlen ähnlich.

Die Umsetzungsschwierigkeit des Übereinkommens besteht zum einen darin, dass Asylbewerber mit Hilfe von Schlepperorganisationen selbst darüber zu bestimmen suchen, in welchem Land sie ihren ersten Asylantrag stellen. Gemäss einer Studie des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lassen sich die Asylbewerber in der Wahl ihres Ziellandes denn auch in erster Linie davon leiten, wo sie die besten Erwerbsmöglichkeiten sehen und wo bereits Landsleute leben. Einmal im Zielland angekommen, verweigern die Asylsuchenden meist jegliche Kooperation und teilen nicht mit, in welches EU-Land sie als erstes eingereist sind.

Im Weiteren sind auch die Grenzstaaten nicht immer bereit, ihrer Registrierungspflicht nachzukommen, weil sie so hoffen, der Pflicht der Behandlung zu entgehen. Dies zeigt der Umgang mit «Eurodac» (s. unten) ganz konkret.

Auch «Eurodac» löst die Probleme nicht

Weil sich das Abkommen als praktisch unwirksam erwies, wurde im Januar 2003 mit Dublin II das europaweite zentrale automatische Fingerabdruckvergleichsystem «Eurodac» in Betrieb gesetzt: Den Asylbewerbern und den illegal Einreisenden wird bei der Einreise in die EU der Fingerabdruck abgenommen und elektronisch in einer Datenbank gespeichert, um damit die Zuständigkeiten der Staaten besser zu regeln. Vorerst bleibt derjenige Staat zuständig, über den eine Person in die EU gekommen ist. Lässt sich das nicht mehr feststellen, so muss derjenige Staat das Gesuch prüfen, in dem sich der Flüchtling mehr als fünf Monate aufgehalten hat. Ist auch dies nicht mehr zu klären, geht die Verantwortung an den Staat, in dem das erste Asylgesuch gestellt worden ist.

Doch auch «Eurodac» hat sich als Flop erwiesen. Denn letztlich sind mit diesem System die Staaten an den Aussengrenzen Europas zugunsten der Binnenländer für die Asylsuchenden Europas zuständig. Angesichts dieser nicht gerade gleichmässigen Aufteilung der Asylsuchenden innerhalb der EU ist es wohl nicht erstaunlich, wenn einzelne Staaten kein Interesse daran haben, sich mit dem Fingerabdruck eines Asylsuchenden oder illegal Einreisenden gleichzeitig für dessen Zuständigkeit zu erklären.

Erste Erfahrungen haben denn auch ergeben, dass die grösste Zahl der Finger-abdrücke nicht etwa in den EU Mittelmeer-Ländern, welche den grössten Zustrom illegal Einreisender verzeichnen, abgenommen wurden, sondern in Österreich, welches 3’500 Registrierungen verzeichnete. An zweiter Stelle folgt Deutschland mit 2’100 Fingerabdrücken und erst an dritter Stelle folgt Italien mit 1’900 Registrierungen. Griechenland wies sogar nur 435 Registrierungen auf. Wenn zwar berücksichtigt werden muss, dass auch Österreich und Deutschland bisher EU-Aussengrenzen haben, so zeigen diese Zahlen doch, dass viele illegale Asylbewerber schlicht nicht erfasst werden. Wer es von Italien her in die Schweiz schafft – mit dem Beitritt zu Schengen/Dublin und dem damit verbundenen Abbau der Grenzkontrollen wird dies künftig noch einfacher sein als heute – entgeht Dublin. In vielen Fällen würde dann die Schweiz als zuständiger Staat ermittelt, weil die Schweiz Dublin II ohne Zweifel buchstabengetreu anwenden würde. Ein Beitritt zum Dubliner Übereinkommen würde der Schweiz deshalb nicht weniger, sondern noch mehr Asylgesuche bringen.

Übrigens: Dass Deutschland mit 50’563 gestellten Erstasylanträgen im Jahr 2003 dennoch einem rückläufigen Trend von Bewerberzahlen seit 1993 folgt, verdankt Deutschland seiner damals eingeführten Drittstaatenregelung, wie sie auch die letzte Asylinitiative der SVP vorgesehen hatte.

Aber auch die Asylbewerber selber wissen «Eurodac» zu umgehen. Einem Bericht der Berner Zeitung von anfangs April war zu entnehmen, dass sich in Schweden Hunderte von Asylbewerber die Fingerkuppen verätzt oder verbrannt haben, um eine Identifizierung zu verhindern. Ein schwedischer Experte kommentierte die Vorfälle so: „Der relativ kurz anhaltende Schmerz zahlt sich aus, wenn man es vielleicht erlaubt bekommt, ein ganzes Leben lang in Schweden zu bleiben“. 

 

Asylpolitik würde in Brüssel gemacht

Wenn die Schweiz dem Dubliner Übereinkommen beitreten würde, übernähme sie nur einen Teil des EU-Asylrechts. Bereits heute aber wird Dublin durch weitere gemeinsame EU-Mindestnormen ergänzt, und der EU schwebt letztlich ein einheitliches Asylverfahren vor. Dabei wird dann wohl auch die finanzielle Lastenteilung sowohl im Asylrecht wie auch bezüglich des Grenzschutzes zur Sprache kommen. Je umfassender die gemeinsame Asylpolitik der EU aber wird, desto bedeutungsloser wird das Dubliner Übereinkommen. Die Schweiz wäre schliesslich gezwungen, weitere Teile der EU-Asylpolitik einseitig zu übernehmen, was das Ende einer eigenständigen Asylpolitik bedeuten würde.

Es ist eine Illusion zu glauben, mit Dublin würde unser Asylproblem von anderen Staaten, bzw. von einem übergeordneten Gremium, gelöst. Vielmehr muss die Schweiz selber und mit einer eigenständigen Asylpolitik dem Asylrechtsmissbrauch entgegen wirken. Dazu brauchen wir keinen Beitritt zum Dubliner Abkommen.

Yvan Perrin
Yvan Perrin
Nationalrat La Côte-aux-Fées (NE)
 
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