Referat

Entwicklung der Landwirtschaft in der EU und im Zusammenhang mit der WTO

In der EU steht den Landwirten ein Markt mit mehreren hundert Millionen Konsumentinnen und Konsumenten für den Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zur Verfügung. Über 2/3 des Budgets…

Ernst Schibli
Ernst Schibli
Nationalrat Otelfingen (ZH)

In der EU steht den Landwirten ein Markt mit mehreren hundert Millionen Konsumentinnen und Konsumenten für den Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zur Verfügung. Über 2/3 des Budgets der EU werden in irgendeiner Form für den Agrar- und Nahrungsmittelsektor verwendet. – Trotzdem sind die Produzenten-preise der Bauern „im Keller“, zehntausende Landwirte stehen vor dem Ruin und sind gezwungen mit Protestaktionen auf ihre katastrophale Situation aufmerksam zu machen. Um eine unkontrollierbare Eskalation zu vermeiden werden Beiträge an die darbenden Bauern gesprochen, die den Schmerz für einen Augenblick mindern, aber das Problem nicht lösen, sondern weiter aufschieben. Der „Rat der Weisen“ in Brüssel ist immer noch der Auffassung, dass eine weltweite Liberalisierung des Handels im Agrarbereich das richtige Mittel ist, um eine weltweit stabile Ernährungssituation und damit mehr Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen. Fast parallele Entwicklungen sind leider auch in der Schweiz festzustellen. Dabei sind die landesinterne Nahrungsmittelproduktion und -versorgung, neben der Sicherheit zwei zentrale Eckpfeiler für den Fortbestand eines Landes.

Vom Regen in die Traufe – ein Blick nach Europa
Werfen wir im Rahmen dieser Veranstaltung für einmal einen Blick über die Grenzen in die benachbarten Länder der EU, um zu sehen, was uns und der Schweizer Landwirtschaft blühen würde, wenn wir uns auf einen schrankenlosen Agrarfreihandel einlassen.

Um es vorweg zu nehmen: den meisten Bauern in der EU geht es auch schlecht, sehr schlecht sogar. Schon mehrfach mussten die europäischen Bauern in diesem Jahr öffentlich auf ihre unerträgliche wirtschaftliche Situation aufmerksam machen zuletzt am Montag vor zwei Wochen in Luxemburg. Mit einem Milchpreis von derzeit rund 20 – 25 Cent (30 – 40 Rappen) stehen viele Bauern in der EU vor dem Ruin und dies obwohl die Milchquoten (Mengensteuerung in der EU) noch bestehen. Der Milchindustrie-Verband in Deutschland rechnet mit einem theoretischen Weltmilchpreis von 10 – 20 Cent (15 – 30 Rappen). Weltweit betrachtet ist auch Europa eine sogenannte „Hochpreisinsel“, um dieses Unwort der Globalisierungsenthusiasten auch zitiert zu haben. Die Milchproduzenten in Europa sind sich bewusst, dass sie mit der Einführung eines weltweiten Agrarfreihandels, wie ihn beispielsweise die WTO anstrebt und mit der schrittweisen Aufhebung der Milchquoten bis 2015, dem Untergang geweiht wären. Dabei ist aus Schweizer Sicht aber noch zu berücksichtigen, dass bei europäischen Landwirtschaftsbetrieben heute schon Grössenverhältnisse und Rationalisierungszustände herrschen, wie sie in der Schweiz gar nicht machbar sind.

In den der Schweiz naheliegenden Regionen wie Österreich und Süddeutschland ist ein deutlicher Trend zu sogenannten Nebenerwerbsbetrieben in der Landwirtschaft erkennbar. Auch dies zeigt, dass Klein- und Familienbetriebe in der neuen Welt des Agrarfreihandels bestenfalls noch Hobby-Bauern sein werden und die eigentliche Nahrungsmittelproduktion durch industrielle Grossunternehmen irgendwo auf der Welt erfolgen soll.

Die Proteste und Hilferufe unserer Berufskollegen in der EU zeigen uns, dass die dortigen Politiker ebenfalls der Illusion einer Verbesserung der Welternährungslage durch Freihandel nachrennen und dabei paradoxerweise bereit sind, die eigene Landwirtschaft in weltweiten Preiskriegen sterben zu lassen.

Es liegt in der Hand von uns Bauern, von Volk und Ständen
Wir Schweizer Bauern würden durch Agrarfreihandelsabkommen, sei es mit der EU oder im Rahmen der WTO, noch weit schlimmer getroffen als unsere Kollegen jenseits der Grenze. Das allgemeine Produktionskostenniveau ist hierzulande deutlich höher, die Auflagen und Vorschriften strenger und die topographischen Verhältnisse schwieriger. Doch warum resignieren wir nicht? Warum glauben wir noch an eine Zukunft der Landwirtschaft in der Schweiz?

Es besteht mit Artikel 104 ein Verfassungsauftrag an den Bund und die Landwirtschaft. Dieser verlangt neben der sicheren Versorgung der Bevölkerung auch die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlage und die Pflege der Kulturlandschaft sowie die dezentrale Besiedelung des Landes. Insbesondere die letzten beiden Punkte wird eine auf hocheffiziente Massenproduktion getrimmte Nahrungsmittelindustrie niemals erfüllen können. Es ist also notwendig, eine Struktur mit kleinen und mittleren Betrieben sowie Familienbetrieben zu erhalten.

Auch die Stimmen der Bevölkerung und vieler Konsumenten bestärken uns in der Überzeugung, dass es sich lohnt, für den Erhalt eines gesunden Schweizer Bauernstandes zu kämpfen. Zusammen mit ihnen können wir die uns hier zur Verfügung stehenden, starken demokratischen Rechte nutzen und jenen Politikern und Funktionären Einhalt gebieten, die unsere Landwirtschaft auf dem Altar des europäischen oder gar weltweiten Freihandels opfern wollen. Die Schweiz hatte in der Vergangenheit schon oft weise Entscheidungen getroffen, um welche sie später beneidet wurde – so beispielsweise nicht der EU beizutreten. Auch wenn diese Fähigkeit in letzter Zeit ziemlich abhanden gekommen zu sein scheint, sollte uns dies nicht hindern, im Agrarbereich vernünftige Schritte zu unternehmen und unsinnige, ja gefährliche zu unterlassen. Die heutige Resolution soll die richtige Richtung aufzeigen. Unsere direkte Demokratie wird uns die Umsetzung ermöglichen – davon Volk und Bauern in der EU nur träumen.

 

Ernst Schibli
Ernst Schibli
Nationalrat Otelfingen (ZH)
 
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