Referat

Wann realisiert Bern die Warnsignale aus Europa?

«Die EU-Staaten schlafwandeln in eine neue, große Migrationskrise hinein», sagte der stellvertretende Vorsitzende der deutschen CSU. Trotzdem sind viele EU-Länder wacher als die Schweiz: Die Diskussion über eine Neuausrichtung der Migrationspolitik ist in vollem Gange. So stehen Asylverfahren an der Schengen-Aussengrenze, Asylverfahren ausserhalb Europas sowie Abkommen mit nordafrikanischen Ländern auf der Traktandenliste. Anders in der Schweiz. In Bundesbern bewegt sich nach wie vor kaum etwas. Es sei einmal mehr gesagt: Erfolgt nicht umgehend eine Neuausrichtung der Asylpolitik, schlittert die Schweiz weiter ins Chaos. Wann realisiert Bern endlich die Warnsignale aus Europa?

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)

«Ungesteuerte Migration und falsch verstandene Toleranz überfordern Gesellschaften. Irgendwann ist es für Korrekturen zu spät. Daher muss rechtzeitig eine Leitkultur durchgesetzt werden.» Diese Aussage stammt nicht aus dem SVP-Parteiprogramm, sondern von Eric Gujer, Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ, 7. Juli 2023). Er beschrieb in seinem Leitartikel die «postmigrantischen Gesellschaften» in unseren europäischen Nachbarländern: Die Probleme punkto Gewalt und Kriminalität, von eingebürgerten Secondos verursacht, sind enorm.

Frankreich sei eine Warnung für Europa. Gleichzeitig wird die ungesteuerte Migration, welche die Regierung von Angela Merkel zuliess, als Kardinalfehler beschrieben. Die deutsche Politik sei «realitätsblind», denn die Krawalle in Berlin-Neukölln an Neujahr seien «ein Vorgeschmack darauf, was passieren kann, wenn die latente Gewaltbereitschaft einzelner Gruppen eskaliert» (a.a.O.).

Probleme und Ursachen sind seit vielen Jahren bekannt
Dass die weltweiten Migrationsbewegungen massiv zunehmen, ist nicht neu. Waren 2012 noch 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht, sind es heute bereits über 108 Millionen. Dass diejenigen Migranten, welche bis nach Europa reisen, dies vielfach ohne eigentlichen Asylgrund tun, ist ebenfalls bekannt. Diese Personen haben meist eine ganz andere Motivation: Sie wollen am westlichen Wohlstand teilhaben und hoffen auf bessere Perspektiven. Diese Wirtschaftsmigranten kommen durch das Asyltor in die Schweiz – obwohl dieser Eingang nicht für sie gedacht ist.

Diese Probleme – dass zu viele Migranten in die Schweiz kommen, dass die Falschen kommen und dies alles viel zu viel kostet – sind längstens bekannt: «Die Migration wird in der Schweiz bisher kaum gesteuert, sondern auf der Doppelspur Asylgesetz und Ausländergesetz juristisch sauber verwaltet. Das Fatale an diesem Vorgehen ist, dass zwar enorme finanzielle Mittel für den Vollzug des Asylrechts ausgegeben werden, der Staat jedoch kaum beeinflussen kann, wer ins Land kommt. Damit gelangen Personen zu einem kürzeren oder längeren Aufenthalt in die Schweiz, die man eigentlich mit Blick auf den Arbeitsmarkt und auf ihren gesellschaftlichen Hintergrund gar nicht hier haben möchte» (NZZ, 12.2.2003).

Wer einmal in der Schweiz ist, kann hierbleiben
Die Asylmigranten wissen: Wer einmal in der Schweiz ist, kann hierbleiben. Auch ohne Asylgrund werden sie nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt; dauerhafter Aufenthalt in Europa ist quasi garantiert. Personen mit abgelehntem Asylgesuch werden in der Regel «vorläufig aufgenommen». Die Wegweisung solcher Personen findet fast nie statt. Die meisten bleiben für immer hier – oft mit drastischen Auswirkungen auf die Sozialkosten und die öffentliche Sicherheit.

Die Neue Zürcher Zeitung beschreibt es wie folgt: «Das Hauptproblem des Asylsystems ist, dass es kein System ist: Die Abschiebungen funktionieren kaum. Zum einen fehlt es am kooperativen Willen der Herkunftsländer, ihre verlorenen Söhne wieder aufzunehmen. Zum anderen können abgelehnte Asylsuchende so lange prozessieren, dass sie faktisch ein Bleiberecht haben, sobald sie den europäischen Boden betreten haben» (NZZ vom 28.7.2023).

Die Zahlen des Bundesrats (7.6.2023) sind erschütternd: Von den 100’690 Personen, die in den vergangenen 20 Jahren vorläufig aufgenommen worden sind, sind die meisten noch hier. 31’214 Personen (31%) haben eine Aufenthaltsbewilligung (B), 5’035 Personen (5%) haben eine Niederlassungsbewilligung (C) und 7’048 Personen (7%) wurden sogar eingebürgert. 15’310 Personen sind nicht mehr statistisch erfasst (15%): Niemand weiss, wo sie sind. Lediglich bei 800 Personen wurde der Status F entzogen. Die vorläufige Aufnahme wurde also bei 0,8% der Fälle beendet.

Alarmierende Zahlen
Diese Politik, welche diejenigen belohnt, die das System ausnützen, ist nicht gerecht: Statt denjenigen zu helfen, welche es wirklich nötig hätten, nehmen wir im grossen Stil Menschen auf, welche aus ganz anderen Gründen nach Europa strömen.

Diese Politik ist auch nicht intelligent – es ist eine rot-grün angehauchte Lebenslüge. Zu diesen Lebenslügen gehört die Behauptung, Integration gelinge meistens. Die Beispiele in Frankreich und Deutschland zeigen, dass es nicht so ist: «Das eigentliche Problem ist im konkreten Fall ein harter Kern junger Männer, deren Eltern oder Grosseltern aus Ländern mit patriarchalen und autoritären Strukturen eingewandert sind. Sie verachten den Rechtsstaat als schwach, weil er nicht mit derselben Härte agiert wie die Polizei und Justiz in den Herkunftsländern» (NZZ vom 6.1.2023).

Diese Politik ist auch nicht menschenfreundlich: Statt Unheil zu verhindern und Leid zu mildern, schaffen wir so die Existenzgrundlage für kriminelle Schlepperorganisationen und Menschenhändler, welche auf Kosten dieser Migranten auf schäbige und ruchlose Weise Milliarden verdienen und Macht ausüben.

Keine Integration und eine Belastung für die Wirtschaft
Auch die Fantasie, dass diese Zuwanderung unserer Wirtschaft förderlich sei, hat sich längst zerschlagen: «Es kommen vor allem junge Männer mit niedriger Bildung. Eine Integration in den Arbeitsmarkt ist oft nicht möglich oder ist von den Einwanderern auch nicht beabsichtigt. Die Sozialleistungen Europas können Anreiz genug sein, sich in Europa aufzuhalten» (NZZ vom 28.7.2023).

Die Studie des Zürcher Amts für Wirtschaft und Arbeit hat es vor einigen Jahren aufgezeigt: Vier von fünf Zuwanderern kommen nicht in Mangelberufe. Doch: «In der von Politikern ausgemalten rosaroten Welt gibt es nur bestens ausgebildete und leistungswillige Fachkräfte, die in die Hände spucken und das Bruttosozialprodukt steigern. In der realen Einwanderungsgesellschaft hingegen nehmen die Konflikte zu: zwischen Einheimischen und Neubürgern, aber auch innerhalb der jeweiligen Gruppen» (NZZ vom 6.1.2023). Wann erfolgt hier endlich eine sachliche Diskussion?

Paradigmenwechsel ist überfällig
Die neuen Herausforderungen im Migrationsbereich sind mit lediglich verfahrenstechnischen Änderungen nicht zu bewältigen – wir sagen es seit Monaten. Nur ein Paradigmenwechsel ermöglicht echte Verbesserungen: Die Migrationspolitik muss sich den veränderten Tatsachen anpassen. Wir müssen umdenken. Nur mit dem Unterbinden grossflächiger Wanderungsbewegungen können Schlepperwesen, organisierte Kriminalität und Menschenhandel effektiv bekämpft werden. Indem konsequent die Hilfe vor Ort ins Zentrum gerückt wird, kann Bedürftigen schneller und besser geholfen werden. Hilfe und Schutz bedeuten nicht gleichzeitig Aufnahme – von dieser überholten Annahme gilt es sich zu lösen.

Die Migration können wir nur dann unter Kontrolle bekommen, wenn potentielle Migranten Perspektiven in ihrem eigenen Land sehen und keine Motivation haben, nach Europa zu kommen. Sie müssen wissen, dass sich dies nicht lohnt. Dazu gehört die Auslagerung von Asylverfahren. Die EU verfolgt derzeit ein Projekt, die Asylverfahren an der Schengen-Aussengrenze durchzuführen. Entsprechende Vorschläge zur Schaffung von Transitzonen an Schweizer Grenzen wurden auch von SVP-Vertretern im Parlament eingereicht.

Neuausrichtung der Asylpolitik
Ob dies reicht, ist fraglich. Erfolgsversprechender scheint der Weg Grossbritanniens, welche sämtliche Verfahren in Ruanda abwickeln will. So will die britische Regierung illegale Einwanderer von der Überfahrt auf dem Ärmelkanal abschrecken. Derzeit wird versucht, dieses Projekt auf juristischem Wege abzuwürgen. Doch die Frage stellt sich nicht grundsätzlich, sondern eher dahingehend, ob Ruanda der geeignete Partnerstaat sei. Denn auch andere politische Kräfte, so etwa der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber, verlangen „substanzielle Änderungen bei den Asylverfahren“, die nicht zwingend in der EU stattfinden müssten (Zeit Online, 29.1.2023).

Vor diesem Hintergrund haben der Parteipräsident und ich Vorstösse in beiden Kammern eingereicht, welche eine Neuausrichtung der Asylpolitik verlangen. Der Bundesrat soll endlich konkrete Abklärungen treffen und dem Parlament ein Konzept vorlegen, wie Asylverfahren künftig im Ausland durchgeführt sowie, allenfalls auch in Zusammenarbeit mit anderen Staaten, Hilfs- und Schutzzentren im Ausland errichtet werden können. So sollen Menschenhandel und Schlepperwesen bekämpft und bessere Hilfe vor Ort angeboten werden.

Man kann nur hoffen, dass die Diskussionen im Wahljahr den nötigen Druck erzeugen, damit der Ernst der Lage endlich auch in Bundesbern erkannt wird.

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)
 
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